Ein sich verbreitender „Scientismus“ macht nachdenklich, der Glaube an die Wissenschaft, an die Wahrheit aus der Forschung. Nachdenklich, weil seine Propheten manchmal kaum von religiösen Predigern zu unterscheiden sind. Nachdenklich, weil dahinter ein falsches Verständnis von Wissenschaft steht und eine „religiöse“ Flucht aus den Unsicherheiten, die Wissenschaft uns täglich liefert. Für den säkularen Buddhismus ist das wichtig, denn die Wissenschaft ist auch für uns wichtige Inspiration, vor allem aber Quelle von Einsicht. Wissenschaft ist kein „So ist es“. Wissenschaft ist ein Prozess, immer nur im „Stand der Erkenntnis“. Wissenschaft ist, was widerlegt werden kann, weil der Gang zur Erkenntnis für alle Menschen nachvollziehbar ist. Wissenschaft liefert deshalb keinen festen Boden. Erstens, weil jeder Wissenschaftler weiß, wie viel wir noch nicht wissenschaftlich wissen. Zweitens, weil der wissenschaftliche Fortschritt selbst, scheinbar gesicherte Erkenntnis zum Irrtum machen kann. Drittens, weil Ideologien, Weltbilder oder Mangel an wissenschaftlichem Wissen den Blick der Wissenschaft selbst verzerren können. Wissenschaft erzeugt Unsicherheit und sie lebt sogar davon. Unsicherheit ist die treibende Kraft der Wissenschaft, die Freude am Umdenken und vielen offenen Fragen. Ihre einzige „Wahrheit“ ist die wissenschaftliche Methode: Alles muss für andere Menschen nachvollziehbar sein. Unsicherheit löst allerdings auch Stress, Zweifel und Ängste aus. Viele Menschen fühlen sich damit nicht wohl. Für die Aktiven in der Wissenschaft ist die wissenschaftliche Arbeit selbst das Mittel zur „Stressbewältigung“. Sie können etwas gegen ihre Unsicherheit tun. Ihre Neugier, ihre Arbeit belohnt sie mit Botenstoffen im Gehirn, die Stress dämpfend wirken und „glücklich“ machen (zum Beispiel Dopamin). Das können Menschen außerhalb der Wissenschaft nicht. Sie haben häufig nicht die Ausbildung, um Forschung nachvollziehen zu können, zu bewerten und in andere Arbeit einzuordnen. Sie müssen in die Forscher selbst vertrauen, ihnen ihre Forschung „glauben“. Es gibt also „Glauben“ mitten in der Wissenschaft. Wie bei jedem Glauben ist die Versuchung zur Überhöhung groß, um Vertrauen für das Unkontrollierbare zu rechtfertigen. Dann steht die Wissenschaft auf dem Podest, als unbezweifelbarer Gott. So entsteht Scientismus, aus dem gleichen (im Grunde positiven) Antrieb heraus, wie Menschen Religion praktizieren. So stellen sich auch Wissenschaftler manchmal dar, wenn sie einen „Disput“ zwischen „Schulen“ entfachen und sich um die Ohren schlagen: „Das glaube ich nicht.“ In der Religion wäre das die Auseinandersetzung zwischen Sekten. Echte Wissenschaft geht anders mit sich um und steht sich selbst kritisch gegenüber. Erika Check Hayden (2013) kritisiert zum Beispiel die ungenügende Statistik, die vielen Arbeiten unterliegt. Bis zu einem Viertel der Ergebnisse liegen außerhalb zuverlässiger Statistik, sind nicht reproduzierbar. coque iphone soldes Für säkulare Buddhisten noch bedeutender ist die Fundamentalkritik an der Gehirnforschung von Katherine S. Button und Kollegen (2013, noch verbreitert von Greg Miller 2013). Es scheint, der größte Teil der Arbeiten erfüllt nicht einmal die einfachsten Forderungen der Statistik, indem die Zahl der untersuchten Menschen einfach viel zu klein ist. Das gilt auch für die meiste „Meditationsforschung“, auf die säkulare Buddhisten sich häufig stützen. Bei genauerer Betrachtung brechen die Ergebnisse nicht selten einfach zusammen. Typischerweise 20 untersuchte Personen produzieren eine weit streuende Datenwolke und trotzdem die beliebteste Aussage: „Meditation hilft gegen Stress.“ An diesem Punkt sind die Datenwolken schon vergessen, die tatsächlich belegen: „Für ein Drittel oder höchstens die Hälfte der untersuchten Personen.“ Grundlegende Statistik lehrt: Der einfache Mittelwert braucht mindestens zehn Einzelbeobachtungen. Aus 20 Menschen eine grundsätzliche Aussage für alle Menschen zu beziehen, das bewegt sich auf sehr dünnem Eis. Die Wissenschaft nennt das „Bias“, das manchmal etwas zwanghafte Streben nach positiven Ergebnissen, der Bestätigung der Arbeitshypothese. Einen möglichen Ausweg sehe ich, indem das Augenmerk der Menschen und der Wissenschaft selbst nicht so stark auf „fertige Ergebnisse“ liegt. Viel wichtiger sind die Perspektiven laufender Forschung. Die ehrliche Botschaft wäre nämlich: „Sie wissen nicht alles, aber sie arbeiten daran.“ Wenn Menschen das wahrnehmen, können sie mit ihrer eigenen Arbeit vergleichen und müssen Wissenschaftler nicht mehr überhöhen. Jeder Mensch ist mit seiner Arbeit niemals fertig. Sie beginnt ständig neu, genauso wie für die wissenschaftliche Gemeinschaft. Wenn ich über solche Fragen mit Wissenschaftlern diskutiere, dann kommt allerdings sofort ein Argument: „Wenn die Medien nicht mitspielen, dann ist das hoffnungslos.“ Allerdings sehe ich die Medienmitteilungen der Forschungsinstitute und Universitäten. Deren Botschaft lautet nämlich typisch: „Wir haben gefunden (und das steht jetzt ganz klar fest).“ Säkulare Buddhisten beziehen viel aus der Wissenschaft und sollten auch „buddhistisch“ mit ihr umgehen. Sie ist kein Feld für blindes Vertrauen oder Gläubigkeit. Wissenschaft kennt keine Wahrheit, sondern einen Stand der Erkenntnis und einen permanenten Fortschritt. In diesem Punkt ist Wissenschaft „buddhistisch“, sie kennt nichts Ewiges. Sie ist eine Wegkunst, die sich immer weiter verfeinert, aber niemals ans Ziel gelangt. „Scientismus“ ist unwissenschaftliches Denken und kann im säkularen Buddhismus nicht zuhause sein. Wissenschaftliches Denken und die wissenschaftliche Methode allerdings, das ist etwas anderes. Das ist agnostisch, säkular und auch „buddhistisch“. Heinz Hilbrecht www.fuhrmann-hilbrecht.de www.facebook.com/heinz.hilbrecht Literatur Button, Katherine S., John P. A. Ioannidis, Claire Mokrysz, Brian A. Nosek, Jonathan Flint, Emma S. J. Robinson & Marcus R. Munafò: Power failure: why small sample size undermines the reliability of neuroscience. Nature Reviews Neuroscience 14, 365-376 (May 2013) | doi:10.1038/nrn3475 (www.nature.com/nrn/journal/v14/n5/abs/nrn3475.html) Check Hayden , Erika: Weak statistical standards implicated in scientific irreproducibility. Nature News, Nov. 11, 2013, doi:10.1038/nature.2013.14131 (www.nature.com/news/weak-statistical-standards-implicated-in-scientific-irreproducibility-1.14131) Miller, Greg: Many Neuroscience Studies May Be Based on Bad Statistics. Blog-Beitrag 15.
Religionen-Bashing ist Gewalt
Säkulare Buddhisten können viele Inhalte von Religionen nicht nachvollziehen. Agnostisches Denken fordert den Beweis, wartet ab, bis Erfahrung und Argumente überzeugend sind. Wir berufen uns gerne auf die Wissenschaft, für die Götter, Seele oder Jenseits nicht messbar sind. Wie können sich säkulare Buddhisten dann zur Religion– viel wichtiger – zu religiösen Menschen stellen? Sollten wir andere vom säkularen Weg überzeugen, indem wir den agnostischen Blick auf die Welt verkünden? Als säkularer Buddhist schaue ich auf die Funktion von Religion für den einzelnen Menschen. Auch aus der Wissenschaft heraus verstehe ich, warum der Buddha das Missionieren verboten hat. Vor allem aus den USA kommt in diesen Tagen ein regelrechtes „Religionen-Bashing“. Der Umgang ist aggressiv. In den USA ist das lebenswichtig, weil christliche Fundamentalisten in allen Teilen der Gesellschaft anderen ihren Glauben aufzwingen wollen. Fundamentalisten leugnen Realität, bekämpfen wissenschaftliche Erkenntnis und Wissenschaftler und schrecken auch vor physischem Terror nicht zurück. Amerikaner stehen vor diesem Hintergrund als Handelnde in einem Akt der Selbstverteidigung. In Europa geht es (noch?) friedlicher zu. Es wäre deshalb wichtig, wenn wir in Europa eine europäische Beziehung zu Religionen pflegen, die amerikanische Sicht nicht zu unserem Maßstab machen. In Europa haben sogar Theologen Konzepte entwickelt, die wissenschaftliche Erkenntnis und Glauben zusammen bringen. Ein Beispiel dafür ist die „permanente Schöpfung“, Lehrmeinung in der katholischen Kirche, die Evolution in ein komplexes Weltbild stellt und damit die wissenschaftliche Erkenntnis sogar begrüßt. Welchen Standpunkt können säkulare Buddhisten zur Religion und zu gläubigen Menschen einnehmen? Physisch „wissenschaftlich“ ist Religion ein starker Mechanismus zur Stressdämpfung. Sie erlaubt Menschen Unveränderbares zu akzeptieren, Vertrauen zu haben, schafft Werte für ein Miteinander der Menschen und sorgt für ein häufig heilsames Gruppengefühl. Tests zeigen, dass religiösen Menschen spontan mehr Vertrauen geschenkt wird, ohne sie persönlich zu kennen. Religion kann stillschweigendes Übereinkommen für Werte schaffen, was richtig, falsch, gut oder schlecht ist. Das allgemein gesenkte Stressniveau führt auch dazu, dass religiöse Menschen im Durchschnitt gesünder sind, als nicht-religiöse Menschen. Das ist keine schlechte Sache. Das Forschungsfeld der Neurotheologie zeigt, dass die Gehirne religiöser Menschen denen von Meditierenden überraschend ähnlich sind. Gebet und Glauben verschafft also objektiv messbare Eigenschaften, die biologisch, psychisch und sozial vorteilhaft sind (Newberg & Waldman 2012). Ich sehe deshalb „wissenschaftlich begründet“, dass der Satz „Es gibt keinen Gott“ für religiöse Menschen einen Akt der Gewalt darstellt. Er entzieht ihnen einen wichtigen Mechanismus, mit dem sie ihre Beziehung zu sich und anderen Menschen auf sichere Beine stellen. Wird das zerstört, werden sie orientierungslos. Ohne Glauben bleiben Stressanfälligkeit, ein geschwächtes Immunsystem, also Angst und Krankheit.Eroberer und Kolonialisten haben nicht umsonst die Religion der Eroberten zerstört und ihre eigene aufgezwungen. Die Forschung zeigt uns heute die biologischen Mechanismen, die „Bekehrung“ in ein Licht von Gewalt und Machtausübung stellen. Tatsächlich gelten die wissenschaftlichen Erkenntnisse auch für die „Selbstbekehrung“, also das eigene und freiwillige Verlassen der Religion, aus welchen Gründen immer. Für solche Menschen, auch im säkularen Buddhismus, fällt die Religion als biologischer Mechanismus aus. Was dabei geschehen kann, zeigen vor allem auch religiöse Konvertiten auf. Sie sind häufig radikaler, fundamentalistischer und scholastischer als solche Menschen, die in eine Religion hineingeboren sind. Auch im Buddhismus gibt es manchmal aggressive Diskussionen zwischen den verschiedenen Gruppen. Die Verteidigung des neuen und noch unsicheren Stressdämpfungsmechanismus kann persönlich lebenswichtig sein. Auch säkulares Denken muss deshalb als Prozess entstehen, durch wachsende Einsicht und Überzeugung. Die Religion muss konstruktiv ersetzt werden, denn alle Menschen brauchen die Wirkungen, die traditionell aus Religion bezogen werden. Im säkularen Buddhismus haben wir andere Möglichkeiten, zum Beispiel Meditation, Vertrauen in die Erkenntnis, ein positives Menschenbild. Der achtfache Pfad, den uns der Buddha überliefert hat, kann die Stress lösenden Mechanismen der Religion aus dem Bewusstsein heraus ersetzen. Religion und Glauben bei einem Menschen ersatzlos zu bekämpfen und zu zerstören kann das nicht. „Religionen-Bashing“ hinterlässt Verletzte. Ich bin überzeugt, auch deshalb hat der Buddha das Missionieren verboten. Seine Einsicht entdecken wir mit der Wissenschaft neu, als Anleitung zur Gewaltfreiheit. Nun gibt es objektiv viele Gründe, weshalb Religion eine Illusion ist, wie der Buddha vielleicht sagen würde. Religion sieht sich „ewig gültig“, doch der Buddha hat alles Ewige abgelehnt, als Illusion und „Anhaftung“. Können wir dann religiösen Menschen noch auf Augenhöhe begegnen, befinden wir uns vielleicht sogar in der Gefahr, uns über andere Menschen zu erheben, als Träger einer „höheren Einsicht“? Eine klare Warnung sind die häufig aggressive und herablassende Sprache, der Hass gegen Religion und die Menschen, die wir in vielen atheistischen Zirkeln sehen. Die Sprache erinnert allzu oft an dieselbe Sprache aus dem religiösen Fundamentalismus, den es leider auch in buddhistischer Färbung gibt. So geht es nicht auf dem achtfachen Pfad, das ist „unbuddhistisch“. Für den säkularen Buddhismus ist die Wissenschaft sehr wichtig. Wissenschaftliches Denken kann auch unsere Beziehung zur Religion gewaltfrei und zu einem positiven Miteinander führen. Wir wissen, dass Menschen in ihrer Religion und Weltanschauung nicht durch intellektuelle Argumente bestimmt werden, sondern durch Gefühle von Vertrauen, Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Säkulare Buddhisten beziehen diese Gefühle aus dem Verstehen der menschlichen Natur. Weil „Religionen-Bashing“ diese Natur verletzt, kann das unser Weg nicht sein. Ich bin übrigens ein „Hardcore-Naturwissenschaftler“. Mein Weg zum säkularen Buddhismus hat über 30 Jahre gedauert. Mein alter Meditationslehrer hat mir in den späten 70er Jahren auf den Weg gegeben: „Es gibt keine Religion und keine Götter. Du musst Dir aber viele Jahre Zeit nehmen, dann verschwinden sie von allein. Wenn Du dabei zu große Schritte machen willst, fügst Du Dir schweren Schaden zu.“ Ich habe mich daran gehalten. Heinz Hilbrecht www.fuhrmann-hilbrecht.de www.facebook.com/heinz.hilbrecht Literatur Newberg, Andrew, Mark Robert Waldman. Der Fingerabdruck Gottes: Wie religiöse und spirituelle Erfahrungen unser Gehirn verändern.