I wish the wars were all over…

über die Sängerin, Liedermacherin und Aktivistin Joan Baez

Als ichJoan Baez in Wiens Stadthalle vor ungefähr 30 Jahren persönlich erlebt habe, war ich begeistert von ihrer ausdrucksvollen, klaren Stimme und ihrer Präsenz. Unter jungen Linken war sie damals schon sehr bekannt als Aktivistin für Bürgerrechte und gegen den Vietnamkrieg.

Joan Baez, in New York geboren, hatte schon als Schülerin ihre Mitschüler mit Schulhofkonzerten unterhalten. Nach Beendigung der High School schrieb sie sich zwar an der Boston University ein, konzentrierte sich aber bald nur noch auf ihre Gesangskarriere. 1959 erreichte sie auf dem Newport Folk Festival zum ersten Mal ein größeres Publikum.

In den Anfangsjahren ihrer Karriere litt Joan Baez an schweren Lampenfieberattacken, zeitweise verstärkt durch Agoraphobie. Manchmal habe sie vor lauter Angst einen Konzertauftritt unterbrechen müssen, habe sich im Waschraum mit Wasser erfrischt, ein wenig geweint und sei dann wieder auf die Bühne gegangen. Niemand habe etwas bemerkt oder bemerken wollen. Manchmal sei die Angst vor einem Konzert so groß geworden, dass sie nicht einmal das elterliche Haus habe verlassen können. Nur ihre Schwester Mimi, die sie zu den Konzerten begleitete, habe davon gewusst und sie bei der Bewältigung dieses Problems unterstützt. Das Lampenfieber habe sie noch lange begleitet. Heute sei sie davon befreit und gehe entspannt auf die Bühne.

Baez bezeichnete 2009 die Begegnung mit Bob Dylan als ihren künstlerischen Durchbruch. Dylan erinnert sich einem Film vor allem an den harmonischen Zusammenklang ihrer Stimmen und das Besondere an Baez’ zum Teil virtuosem und kompliziertem Gitarrenspiel, das keiner außer ihr in dieser Form beherrscht habe.

In der ersten Hälfte der 1960er-Jahre stand sie mit an der Spitze der Folkbewegung. 1962, auf einer Tournee durch die Südstaaten, entschloss sie sich, nur noch dort aufzutreten, wo es keine Rassenschranken gab. Somit blieben ihr in den USA nur die schwarzen Universitäten. Im August 1963 sang sie auf dem Civil Rights March das berühmte We Shall Overcome, das in den folgenden Jahren quasi zu ihrem sängerischen Markenzeichen wurde. 1969 trat sie auf dem Woodstock-Festival auf. Die schwangere Sängerin nutzte dieses große Forum, um die Missstände in der Welt anzuprangern.

Kurz vor ihrem 50. Geburtstag 1991 engagierte sie zum ersten Mal einen Manager und nahm Gesangsunterricht. Seit dieser Zeit spielt sie bei Plattenaufnahmen nur noch sehr selten Instrumente, sondern konzentriert sich weit mehr auf ihren Gesang. Bei Live-Tourneen spielt sie die Gitarre nach wie vor selbst.

Die Eltern von Joan Baez waren Quäker, zu deren Maximen Gewaltlosigkeit gehört. Das wurde zu auch einer wichtigen Vokabel in Joan Baez’ politischem Wortschatz, auch gegenüber dem politischen Gegner, zum Beispiel bei Demonstrationen gegenüber der Polizei. Bei politischen Veranstaltungen auch unter schwierigen, politisch-emotional aufgeladenen Bedingungen (z. B. als Steine auf schwarze Schüler geworfen wurden, die in eine weiße Schule gingen), hatJoan Baez immer darauf gedrängt, dieses Wort mehrfach in die Reden einzuflechten, die die angespannte Situation zu deeskalieren.

Nachdem sie 1972 in einem Interview gesagt hatte, dass sie zehn Jahre zuvor eine lesbische Beziehung unterhalten hatte und sich als bisexuell sieht, gab sie 1978 einige Benefizkonzerte gegen die sogenannte Briggs-Initiative, die allen homosexuellen Lehrern den Unterricht an öffentlichen Schulen in Kalifornien verbieten wollte.

In Madrid sang sie 1977 nach dem Ende der Diktatur Francisco Francos unter anderem den Song We Shall Not be Moved (Spanisch No nos moverán), der 40 Jahre lang in Spanien verboten gewesen war. Im selben Jahr veröffentlichte sie den Protestsong China, in dem sie die blutige Niederschlagung des Volksaufstandes auf dem Tian’anmen-Platz in Peking anprangerte. 1992 war sie eine der ersten Künstlerinnen, die Bosnien-Herzegowina besuchten. Im kriegszerstörten Sarajevo ging sie, geschützt durch eine kugelsichere Weste, mit Begleitschutz durch die Straßen, sprach mit den Menschen und musizierte u. a. mit dem als Cellist von Sarajevo bekannten Straßenmusiker Vedran Smailovic. 2010 zeigte sich Baez in der Öffentlichkeit kritisch gegenüber dem neuen verschärften Einwanderungsgesetz für Mexikaner im US-Bundesstaat Arizona und nutzte dazu Konzertauftritte.

Ihr Sohn Gabriel aus der Ehe mit David Harris ist im Dezember 1969 geboren. Er begleitet sie heute als Perkussionist ihrer Band.

Nach der Scheidung von Harris hatte sie kurze und wechselnde Beziehungen zu verschiedenen Partnern, lebt aber seither als Single. Sie wohnt gemeinsam mit ihrem Sohn Gabriel, Schwiegertochter und Enkelin in Kalifonien. Auch ihre Mutter lebte bis zu ihrem Tod im Jahre 2013, kurz nach ihrem 100. Geburtstag, bei ihr. Auf ihrem Grundstück hat Baez ein Baumhaus, in dem sie einen großen Teil ihrer freien Zeit verbringt, meditiert und schreibt.

Ich habe sie zuletzt im April 2020 singen gehört und gesehen. Sie hat jetzt weiße Haare, ihre Stimme ist tiefer geworden. In Quarantäne singt sie für die heroes of our time, für die Krankenschwestern, Busfahrer, Ärzte und Supermarkt-Angestellte, sie singt auch auf Deutsch, Italienisch und Spanisch.

Ihren Lebenslauf würde ich mit Martine Bachelor ein beeindruckendes Beispiel von creative engangement nennen.

Die Daten habe ich aus Wikipedia Einträgen und einigen Zeitungsartikeln zusammengestellt.

Eva-Maria

Ohne LehrerInnen auf dem Weg sein

Stephen Bachelor hat uns wissen lassen, dass er nicht mehr ins buddhistische Zentrum von Scheibbs kommen wird. Nach den Jahrzehnten, in denen er Retreats dort gehalten hat, ist das erst mal ein schwerer Schlag. Wir werden ihn, seinen scharfen Intellekt und seine sanfte Freundlichkeit vermissen.

Das mag einige von uns zum Nachdenken bringen, wie wir uns alleine weiter auf den Weg machen könnten. Was brauchen wir dazu?

Nicht nur Lehrer können uns fördern. Dazu kann eine passende Umgebung und besonders die Hilfe einer Gruppe kommen. Alleine sei es sehr schwer, die Praxis aufrecht zu erhalten. Das sagt uns die erfahrene Lehrerin Martine Bachelor.

Meditation retreats offered by Martine & Stephen Batchelor ...

Stephen Bachelor hat uns an die letzten Worte Buddhas erinnert:

beschreitet den Pfad mit Sorgfalt und Fürsorglichkeit.

Und der chinesische Zen Meister Rinzai aus dem neunten Jahrhundert uns gibt uns den Rat:

….du brauchst nichts besonderes zu tun. Wenn du hungrig bist, iss deinen Reis, wenn du müde bist, schließ die Augen.

So ausgestattet könnten wir uns getrost auf den Weg machen.

臨濟義玄 Linji Yixuan (?–866): 臨濟錄 Linji lu

evamaria

Einsamkeit in der Zeit von COVID-19

von Stephen Batchelor

       Die normale Zeit steht still. Ich bin in einem mittelalterlichen Dorf in der Nähe von Bordeaux im Südwesten Frankreichs eingesperrt, umgeben von Weinbergen und Wäldern. In dieser Einsamkeit fühle ich mich zu Hause. Ich meditiere seit mehr als vierzig Jahren. Ich bin es gewohnt, mit gekreuzten Beinen auf einem Kissen zu sitzen, nur zuzuhören, nachzudenken und mich zu wundern. Einsamkeit bedeutet mehr als nur körperlich allein zu sein. Wahre Einsamkeit ist ein Geisteszustand, der gepflegt werden muss. Es braucht Zeit, eine nichtreaktive Achtsamkeit zu entwickeln, die unberührt ist von dem Gezeter inneren Stimmen, die Aufmerksamkeit fordern. Das ist nicht einfach.

Vor vierhundert Jahren, nicht weit von meinem Wohnort entfernt, zog sich der Essayist Michel de Montaigne in einen Turm auf seinem Anwesen im Dordogne-Tal zurück, um seine verbleibenden Jahre der philosophischen Kontemplation zu widmen. Der größte Dienst, den ich meinem Verstand leisten könnte, hatte er gedacht, wäre, ihn in völliger Untätigkeit zu lassen, für sich selbst zu sorgen, sich selbst zum Stillstand zu bringen und sich niederzulassen. Aber stattdessen, wie ein außer Kontrolle geratenes Pferd, das überallhin galoppiert, brachte er seltsame, fantastische Monster nacheinander hervor, ohne Ordnung oder Format.
1585, vierzehn Jahre nach seinem Rückzug in seinen Turm, verwüstete die Pest Bordeaux. Über sechs Monate starben 14.000 Menschen in der überfüllten Stadt. Als sich die Krankheit auf dem Land ausbreitete, musste Montaigne mit seiner Familie aus seinem Anwesen fliehen, um Zuflucht vor der Epidemie zu suchen. Sechs Monate lang wurden sie zu einer Quelle der Angst für die Freunde, die sie beherbergten. Sollte er, seine Frau oder Tochter sich über die geringste Krankheit beschweren, wären sie plötzlich gezwungen zu gehen. Leichen lagen unbestattet auf den Feldern. Sie sahen Leute, die ihre eigenen Gräber gruben. Jedes Mal, wenn Sie einem Risiko ausgesetzt sind, überlegte Montaigne, verbringen sie ihre Quarantäne in einer ekstatischen Angst vor dieser Krankheit. Ihre Fantasie hat inzwischen ihre eigene Art, sie zu erregen und ihre Gesundheit duch Fieber ins Schwitzen zu bringen.
Porträt von Michel de Montaigne (1533-15 - Unbekannter Künstler ...
     Heute sind die Straßen in meinem Dorf verlassen. Jedes Mal, wenn ich das Haus verlasse, muss ich ein Formular ausfüllen, um zu erklären, wohin ich gehe und warum. Als siebenundsechzigjähriger Mann gehöre ich zu einer Risikogruppe. Wäre ich mit dem Virus infiziert, könnte ich bald an einer Lungenentzündung oder einem Organversagen sterben. Der unsichtbare Feind kann sich bereits in mir vermehren. Covid-19 ist meinen Bedürfnissen und Wünschen gegenüber völlig gleichgültig.

Jeden Morgen erwache ich zu einem ewigen Sonntag. Inmitten von Angst, Ansteckung und Tod bin ich überwältigt von der Stille um mich herum. In den zwanzig Jahren, in denen ich hier gelebt habe, war es noch nie so ruhig und still. Während die Menschen in ihren hektischen Bemühungen innehalten, hört der Hintergrund von Verkehr und Industrie auf. Die Amseln singen süßer. Es ist, als ob die Natur selbst wieder atmen kann.  Sobald die Neuheit der Selbstisolation nachlässt und der Umbruch, eine beispiellose Zeit zu durchleben, nachlässt, fühlen Sie sich möglicherweise frustriert und unruhig. Sie haben sich vielleicht darauf gefreut, mehr Zeit zu haben, um Bücher zu lesen, Gedichte zu schreiben und zu meditieren, aber Ihr Geist wird sich nicht beruhigen. Sie sind von Sorgen über die Ansteckung mit dem Virus belagert. Sie sind besorgt über Ihr Einkommen und Ihre Beschäftigung, wenn der Lockdown endet. Sie springen von einem katastrophalen Gedanken zum nächsten. Sie sind durch Unsicherheit gelähmt. Wenn Sie nicht wissen, wie Sie sich selbst regieren sollen, bemerkte Montaigne, wäre es Wahnsinn, sich sich selbst anzuvertrauen. Selbstverwaltung ist von zentraler Bedeutung für die von Montaigne praktizierten griechischen Philosophien sowie für die Disziplinen des Buddhismus und anderer kontemplativer Traditionen. Aber es ist kein Fach, das heute in den meisten unserer Schulen und Hochschulen unterrichtet wird. Wenn es darum geht, mit unseren Gedanken, Emotionen und Ängsten umzugehen, bleiben wir oft allein und haben wenig Unterstützung. Beim Lockdown stellen wir möglicherweise fest, dass uns die Fähigkeiten fehlen, um in der Einsamkeit zu gedeihen.
Für Montaigne beginnt die Praxis der Einsamkeit damit, unseren Geist und Willen wiederzugewinnen, die sich anderswo beschäftigen. Er beschreibt die Methode, die in seinem Fall am besten funktioniert hat. Indem ich die Auswirkungen und Umstände der Leidenschaften, die mich regieren, genau ausspioniere, schreibt er, „habe ich gelernt, die winzigen Brisen zu erkennen, die mich berühren und als Vorläufer des Sturms in mir murmeln. Dies hat es ihm ermöglicht, die Raserei ihrer Anklage zu verlangsamen und die Tür zu schließen gegen sie. Auf diese Weise konnte er seinen Geist demütigen und zur Ruhe legen. Durch seine eigene introspektive Analyse entdeckte und praktizierte er, was wir heute als „Achtsamkeit“ bezeichnen würden.  
Montaignes Praxis der Einsamkeit führte ihn nicht dazu, die Pest zu ignorieren und sich in einem Zustand ferner Gleichgültigkeit auszuruhen. Es ermöglichte ihm, die Epidemie mit Klarheit und Konzentration zu betrachten, was ihm den Mut und die Entschlossenheit gab, angemessen zu reagieren. Im Herzen der Einsamkeit liegt ein Paradoxon: Schauen Sie sich isoliert lange und genau genug an, und plötzlich werden Sie den Rest der Menschheit zurückblicken sehen.  Das romantische Bild des in seinem Turm isolierten Philosophen-Einsiedlers ist irreführend. Die Gutsglocke befand sich direkt über Montaignes Bibliothek. Das ganze Gebäude zitterte jedes Mal, wenn es klingelte. Kammerdiener, Sekretärinnen und ein Priester gingen den ganzen Tag ein und aus. Der Hof draußen war voller Bäcker und Schmiede, Hühner und Esel, Kinder und Hunde. Während seiner Zeit in der Einsamkeit unternahm Montaigne diplomatische Missionen, um Verbindungen zwischen den katholischen und protestantischen Kräften herzustellen, die sich im Bürgerkrieg, der Frankreich fast sein ganzes Leben lang verwüstete, gegenseitig schlachteten. Sein Rat an den zukünftigen König Heinrich V. hat möglicherweise dazu beigetragen, den Weg zu der Beilegung des Konflikts zu ebnen, die die Gewalt im Jahr 1598 beendete. Um die Wahrheit zu sagen, gestand er, „erweitert die begrenzte Einsamkeit meinen Horizont und erweitert mich nach außen: Ich stürze mich bereitwilliger in die Angelegenheiten des Staates und in die weite Welt, wenn ich allein bin.

Stephen Batchelor ist der Autor von The Art of Solitude (Yale University Press, 2020)
(geschrieben am 6. April 2020).

Übersetzt aus dem Englischen von E.G.

Corona

die Pandemie hat unser Leben auf den Kopf gestellt. Wir älteren Leute waren durch die Einschränkungen, die uns auferlegt wurden, besonders betroffen.

Angst geht um. Viele fürchten sich vor Ansteckung, einige davor, den Kontakt mit ihren Lieben zu verlieren.

Es ist eine Gelegeheit, sich selbst und andere besser kennen zu lernen. Wie gehe ich damit um, wenn Menschen meine Emotionen nicht teilen? was mache ich mit der verordneten Einsamkeit?

Es gibt viele Beispiele, wie Menschen zusammengewachsen sind, trotz räumlicher Entfernung. Niemand ist eine Insel – das kann man anschaulich erfahren.

Venedig nach Corona: Neuerfindung oder zurück zum Massentourismus?

Wir können uns an der Sauberkeit der Lagune von Venedig erfreuen und müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass die Meere durch Plastikhandschuhe und Masken noch mehr verschmutzt werden. Wie sich die Coronakrise im Weiterem entwickelt wird, liegt auch an uns und unserem Konsumverhalten. Für ein Wochenende nach London zu fliegen ist keine gute Idee mehr. Die Coronakrise wird zu umfassenden Klimakrise, gefährlich und für viele tödlich.

Und WissenschaftlerInnen sagen uns, dass weitere Pandemien folgen werden, da immer mehr Menschen und Nutztiere auf immer engerem Raum leben.

Was ist zu tun? Bescheidenheit und Loslassen sind angesagt. Ängste ernst nehmen. Versuchen, die Verbundenheit aller Lebewesen immer mehr zu spüren und ins eigene Herz zu verankern. Mit den Veränderungen aufmerksam leben.

evamaria

Wieder ein Peer-Retreat

Zum fünften Mal haben wir säkularen Buddhistinnen und Buddhisten ein Retreat organisiert. Ursprünglich hatte unser Freund Winton Higgins aus Australien uns vorgewarnt: Ein Retreat ohne Lehrerin/Lehrer wäre so ähnlich wie Katzen zu hüten, aber das können wir nicht bestätigen. Es gab diesmal keine Vorträge; das Programm war trotzdem vielfältig: Es gab einige Meditationensitzungen täglich, an die wir uns nach Jason Siffs Methode „Recollective Awareness“ zu erinnen versuchten; außerdem achtsames Arbeiten und ein gemeinsamer Spaziergang täglich, dazu Yoga und Feldenkraisübungen, für die, die das gemeinsam machen wollten. Wir haben die ganze Zeit im Schweigen verbracht.

Es war eine spannende Erfahrung für mich. Es ändert den Blickwinkel entscheidend, wenn man die ganze Organisation selber macht und auch dafür verantwortlich ist. Autorität vermittelt Sicherheit. Macht man die Dinge selber, wird man zwar manchmal unsicherer, aber gleichzeitig unabhängiger.

Unser goldener Okober

Es ist warm, und die Sonne scheint. Meine Freude darüber ist nicht ungetrübt angesichts der Tatsache, dass es viel zu warm ist. Es hat lange gedauert, bis nun auch der Präsident der USA den Klimawandel nicht mehr für ausgeschlossen hält. Dieses Inserat, das ich diese Woche gefunden habe, spricht für sich: Die Erkenntnis, dass ständiges Wachstum nicht unvermeidlich sei, ist noch nicht in den Köpfen den meisten Menschen angekommen. Die buddhistische Weisheit: was wächst, wird wieder vergehen, muss erst noch länger reifen und hoffentlich nicht durch immer wiederkehrende Naturkatastrophen bestätigt werden.

Das Ende der Menschheit?

Dalai Lama: Frieden oder Ende der Menschheit

Der Dalai Lama richtet mit seinem neuen Büchlein einen flammenden Appell an die Welt, vor allem an die Jugend. „Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert des Friedens sein – oder das Ende der Menschheit bringen.“

Die jetzt jungen Leute hätten die „grenzenlose Kraft der Zukunft“ in sich, mit der es möglich sei, „mit der Finsternis der Vergangenheit aufzuräumen“. Der Lama setzt enorme Hoffnungen in diese Generation. Er schreibt: „Reißt zu Beginn des 21. Jahrhunderts nun auch die letzten Mauern der Schande ein.“ Den ab 2000 geborenen Menschen wohne die Kraft des Friedens inne, zeigt sich der 82-jährige „ozeangleiche Lehrer“, wie Dalai Lama übersetzt heißt, überzeugt. Und er fühlt sich trotz seines Alters mit der Jugend auf einer Altersstufe, wenn es darum geht, für den Frieden einzutreten. Denn „wir sind alle in der Phase des Neubeginns“.

Dalai Lama

Der 14. Dalai Lama richtet einen Appell an die jungen Menschen, die Welt zum Besseren zu verändern

„Revolution des Mitgefühls“

Mit seinem unbedingten Festhalten an der Gewaltlosigkeit fordert er die Jugend auf, sich nicht von den aktuellen Kriegen, Krisenherden und von Terror entmutigen zu lassen. Gewaltlosigkeit erfordere zwar viel mehr Geduld und Willensstärke, sei aber letztlich erfolgreicher. „Die Geschichte lehrt uns, dass militärische Siege und Niederlagen nie von langer Dauer sind.“ Und: „Gewaltlosigkeit ist die pragmatische Lösung für die Konflikte unserer Zeit.“ Es sei die Zeit gekommen für eine Revolution, die noch nie da gewesen sei: eine Revolution des Mitgefühls. In diesem Zusammenhang beschwört er auch den Mut der Frauen, Führungsämter zu übernehmen. Das entsprechende Kapitel heißt „Mein Traum: Frauen werden Staatschefs“.

„Rebellische Geister brauchen wir“

Das Buch ist zugleich ein Einblick in den persönlichen Werdegang des Lamas. Tenzin Gyatso schreibt über seine Flucht aus Tibet, das, was er von seiner Mutter mitbekommen hat und über sein Lernen über die Maximen der Französischen Revolution. Die Werte „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, sieht er im Buddhismus genauso verankert. Er beschreibt auch sein Miterleben von Vorgängen in der Welt, selbst, wenn er nicht physisch dabei war, wie etwa beim Fall der Berliner Mauer.

Cover von "Der neue Appell des Dalai Lama an die Welt"

Buchhinweis

Dalai Lama: Der neue Appell des Dalai Lama an die Welt, 88 Seiten, Benevento Verlag, 2018, 7 Euro.

Während andere buddhistische Gelehrte sich hauptsächlich in Gelassenheit üben, betont der Autor die Wichtigkeit der Auseinandersetzung mit historischen Ereignissen und den menschlichen Entwicklungen. Für ihn stellt die Gelassenheit nur einen von mehreren Aspekten der buddhistischen Grundlagen dar.

Weiterbestand der Erde nicht gesichert

Besonders problematisch sieht der Dalai Lama die Klimakatastrophe. Denn der heutigen Jugend sei nicht garantiert, gesund erwachsen zu werden. Aber auch hier sieht er Abhilfe: „Denn wenn wir imstande waren, all diese Probleme zu schaffen, dann ist es nur logisch, dass wir auch über Möglichkeiten verfügen, sie zu lösen.“ Aus der Sicht des Lamas braucht es dazu vor allem kollektive Intelligenz und Mitgefühl. Denn eine einzelne Plastikflasche erscheine nicht schlimm, jeden Tag würden aber Millionen Kilo Plastik in die Meere gekippt, schreibt der Dalai Lama und appelliert an das Bewusstsein für das eigene Handeln.

Der Buddhismus und die Physik

Tenzin Gyatso begründet seine Forderungen nach Liebe, Mitgefühl, Freude und Gleichmut mit Erkenntnissen der Quantenphysik. Die Zellen von Lebewesen vibrieren demzufolge im Einklang mit dem Universum. Er mahnt alle Menschen – nicht nur die Jugend – ihre universelle Verantwortung wahrzunehmen. So wie Gedanken, Handlungen und Worte eine Wirkung auf quasi das ganze System haben, könne jede und jeder als winziger Teil der sieben Milliarden Erdbewohner ihren oder seinen Beitrag leisten.

Ich bin wieder da

Liebe Freundinnen und Freunde, nach langer Zeit melde ich mich wieder. Ich habe in der Zwischenzeit viel zu tun gehabt, wie ihr von Bernd erfahren habt. Ich habe ich eine schwere Krankheit überstanden, und eine Halbseitenlähmung ist zurückgeblieben. Das Gehen und auch das Sprechen habe ich mühsam wieder gelernt. Und ich möchte gerne den Blog wieder aufnehmen. Erwartet bitte nicht, daß ich so viel schreiben werde wie früher, aber ich kann das Schreiben einfach nicht lassen und ich will das auch nicht. Wir werden sehen, wie das geht. Während der Zeit meiner Krankheit hat mein Hirn nicht besonders gut funktioniert, und die Beschäftigung mit dem Dharma und Buddhas Lehren ist in den Hintergrund getreten. Wer mich aber treu begleitet hat und immer noch begleitet, ist unsere Sangha in Wien, dafür danke ich meinen Freundinnen und Freunden sehr, mit denen ich schon seit längerer Zeit wieder gemeinsam meditiere. Geblieben ist mir die unglaubliche Freude, noch am Leben zu sein, und dass man ein Glas immer als halbvoll oder halbleer sehen kann.

„Erwachen“ – Hat das etwas mit mir zu tun?
Über Richard P. Boyles Buch: Realizing Awakened Consciousness

Als ich im Internet auf dieses relativ neue Buch gestoßen bin 1, war ich mehr als skeptisch. Da lassen sich Dharmalehrerinnen und -lehrer über ihre Erwachenserlebnisse interviewen? Traditiongemäß sind das doch Erfahrungen, die frau oder man für sich behält, wenn sie stattgefunden haben – darüber spricht man unter Buddhistinnen und Buddhisten nicht, zu groß scheint die Gefahr, sich ihrer zu rühmen, oder auch, den Eindruck zu erzeugen, es wäre nun ein endgültiger Zustand von Heiligmäßigkeit erreicht. Dann hat doch meine Neugier die Oberhand gewonnen, vor allem angesichts der Menge an prominenten Interviewparterinnen und -partnern des buch boyle.jpgAutors, und ich habe das Buch gelesen.   Richard Boyle war kognitiver Sozialwissenschafter und praktiziert seit 40 Jahren Zen. Für sein durch eigene Praxis genährtes Projekt, sich dem Wesen von „Erwachen“ aus wissenschaftlicher Sicht anzunähern, suchte er nach bekannten Lehrerinnen und Lehrern, möglichst aus verschiedenen buddhistischen Schulen, die bereit waren, über ihren persönlichen Weg im Buddhismus detailliert Auskunft zu geben. Er hat schließlich elf Personen interviewt, die Liste liest sich wie ein Who is Who von prominenten Dharmalehrerinnen und -lehrern der Gegenwart: Shinzen Young, John Tarrant, Ken McLeod, Ajahn Amaro, Martine Batchelor, Shaila Catherine, Gil Fronsdal, Stephen Batchelor, Pat Enkyo O’Hara, Bernie Glassman, Joseph Goldstein. Alle Gesprächspartner haben sich tief in die eigene Geschichte zurückversetzt und versucht, nachvollziehbar darüber zu erzählen. Mich hat dabei besonders beeindruckt, wie Lebenswege im praktischen und im übertragenen Sinn durch „Zufälligkeiten“ beschritten und weitergeführt worden sind: Ob eine Zen-Nonne oder ein anderer Vipassana-Praktizierender wurde, und wie sie dabei in Richtung streng klösterlichen Lebens oder großer Weltoffenheit geprägt wurden, war nicht immer bewusste eigene Wahl sondern Ergebnis dessen, wohin es sie „verschlagen“ hat (Martine Batchelor berichtet zum Beispiel, dass sie durch den Irrtum einer Airline nicht nach Japan, sondern nach Korea flog – in dem Kloster, wo sie dann ankam, blieb sie zehn Jahre lang). Beim Lesen ist meine Skepsis, ob man über „Erwachen“ reden solle und könne, bald verstummt. Nicht eine der interviewten Personen hat ein einziges, alles veränderndes Erleuchtungserlebnis präsentiert und herausgestrichen. Alle erzählen in ihren persönlichen Worten von Situationen der Klarheit, Auflösung des Selbst und Einsseins mit der Welt; das tun sie immer sehr zurückhaltend und mehrmals kommt der Hinweis, dass das nicht überschätzt werden sollte und danach das Leben einfach weitergehe.Richard P. Boyle Richard Boyle ist ohne Zweifel ein sehr einfühlsamer Interviewer, aber beim Aufschreiben dieser Erzählungen hat er es nicht bewenden lassen. In mehreren zusammenfassenden und allgemein interpretierenden Kapiteln hat er versucht, so etwas wie einen gemeinsamen Nenner von „Awakened Consciousness“ zu finden. Eine seiner Schlußfolgerungen definiert drei deutlich wahrnehmbare Qualitäten, durch die sich erwachtes Bewusstsein vom Alltagsbewusstsein unterscheide:

  1. Keine Trennung von der Umgebung. Erwachtes Bewusstsein entsteht aus einer Perspektive, in der die Umgebung ein ganzes System ist, an dem wir als mehr oder weniger gleichgestelltes Mitglied teilhaben, und nicht aus der üblichen Perspektive mit dem Selbst als zentralem Fokus und Protagonisten, der entfernt von dem agiert, was ihn umgibt.
  2. Kein emotionales Anhaften an das Selbst oder an die soziale Realität. Wir können beobachten, was in der Welt vor sich geht und dementsprechend handeln, aber die emotionalen Verbindungen mit den selbst gemachten Geschichten, die üblicherweise diese Aktivität lenken, sind gekappt und wir folgen dem Fluß des Geschehens in Freiheit und Gleichmut.
  3. Achtsamkeit entsteht gleichzeitig mit Handeln in einem Prozess gegenseitiger Abhängigkeit. Das, was wir uns bewusst machen und das, womit wir uns in jedem Moment beschäftigen – beide Themen ergeben sich spontan und gleichzeitig aus unserer Interaktion mit der Umgebung.

Dies soll nur ein kleines Beispiel sein für Boyles Fähigkeit, bei aller Genauigkeit im Umgang mit den sehr verschiedenen Narrativen seiner Gesprächsparterinnen und -partner Gemeinsamkeiten aufzuspüren und zwar so, dass die „Durchschnittsbuddhistin“ und der „Duchschnittsbuddhist“ angeregt werden, sich dem Begriff des Erwachens anzunähern, ohne ihn zu dramatisieren, und vielleicht auch eigenen derartigen Erlebnissen Platz und Stellenwert in der persönlichen Geschichte zu geben, als inspirierenden Augenblicken von Klarheit, Einssein und „Flow“, ohne zu vergessen, dass das Leben danach wieder unspektakulär weitergeht.

  1. Richard P. Boyle, Realizing Awakened Consciousness, Interviews with Buddhist teachers and a new perspective on the mind, 2015. Auch als e-book erhältlich; es gibt bisher keine Übersetzung ins Deutsche.

Die fünfzehn Wahrheiten des Stephen Schettini

      1. Stephen Schettini lebte acht Jahre lang als buddhistischer Mönch in Indien und Sri Lanka, bis er die Robe ablegte. Er lebt nun als Laie in Kanada und betreibt den vielbesuchten Blog

http://www.thenakedmonk.com/

    1. Dessen Name stammt, wie er sagt, daher, dass er sich bei der Rückkehr ins Leben eines Laien ohne die Stütze der 2600 Jahre alten Institution nackt gefühlt habe.

SchettiniEr ist seit Jahrzehnten mit Stephen Batchelor befreundet, ein Gespräch der beiden findet sich auf Schettinis Blog. Auf dessen erster Seite habe ich diese 15 Wahrheiten gefunden, die hier, mit Schettinis Zustimmung von mir ins Deutsche übersetzt, folgen:

  1. Die Dinge in Frage zu stellen, an die du am ernsthaftesten glaubst, führt zu Frieden.
  2. Wahre Einsicht entsteht aus persönlicher Erfahrung, nicht aus Sprache, Schriften, Philosophie oder höherer Autorität.
  3. Das lohnendste Ziel im Leben ist es, die Hochachtung für die eigene Person durch praktische Empathie und kompromisslose Einsicht zu ersetzen.
  4. Wachse über die Erwartungen hinaus, die von anderen oder dir selbst an dich gestellt werden, und schau über das hinaus, was in deinem Leben täglich üblich ist. Sei bereit, bequeme Wahrheiten hinter dir zu lassen, um schließlich zu finden, wonach du suchst – auch wenn das bedeutet, etwas Unangenehmes zu entdecken.
  5. Wir haben einen Instinkt dafür, was richtig und falsch ist, schieben ihn aber beiseite, wenn es unangenehm wird.
  6. Was heute wahr ist, ist nicht unbedingt morgen wahr.
  7. Je stärker wir durch Emotion motiviert sind, desto hartnäckiger geben wir das als Vernunft aus.
  8. Leugnung liegt an der Wurzel allen selbstverschuldeten Leidens und ist unser größtes Hindernis.
  9. Ethische Normen erzeugen wahrscheinlich genausoviel Scheinheiligkeit wie Güte.
  10. An irgendetwas nur deshalb zu glauben, weil es Trost oder Sicherheit bringt, ist gefährlich, vor allem dann, wenn Gewissheit gefordert wird.
  11. Keinem religiös, wissenschaftlich oder akademisch Gläubigen kann man trauen, wenn er nicht über sich selbst lachen kann.
  12. Die Wahrheit respektiert man nur, indem man sie mit Vorsicht genießt.
  13. Das Leben führt nirgendwo hin, bis wir bewusst die Richtung einschlagen, in die es uns führt.
  14. Die Vorstellung, dass wir uns laufend verbessern, entweder durch Technologie oder durch Glauben, ist vielleicht der große Mythos unserer Zeit; das Gezänk über Wissenschaft und Religion ist einfach bedeutungslos.
  15. Die Suche nach Wahrheit hat mehr mit dem Loslassen von Sicherheit zu tun als damit, diese zu finden.