In einer recht streng katholischen Familie bin ich aufgewachsen; im Alter von zwanzig Jahren habe ich mich in heftigen Widerspruch dazu gesetzt, mich wie so viele meiner Generation den „Achtundsechzigern“ angeschlossen und für viele Jahre – als Aktivistin der Friedensbewegung, der Bewegung für internationale Solidarität und anderer Initiativen – an den linken Rand des politischen Spektrums gestellt. Vor zwanzig Jahren habe ich mit Zen-Meditation begonnen und schließlich eine Art spiritueller Heimat in säkular-buddhistischem Denken gefunden. Einiges, was ich auf diesem Blog bisher geschrieben habe, drückt hoffentlich aus, dass es mir wichtig ist, in der Geschichte meines Lebens keine dieser Wurzeln für überflüssig zu halten und sie alle zu würdigen. Ein Freund hat mich vor kurzem auf David Loy aufmerksam gemacht. Mit Spannung und Freude habe ich in den letzten Tagen gelesen und gehört, wie er in seinem Denken mühelos Gedankengänge und Geistesströmungen zueinander in Beziehung bringt, die auf den ersten Blick unvereinbar scheinen. Fürs erste möchte ich den Vortrag „Buddhism and the West“ übersetzen, der in englischer Sprache auf Youtube zu hören ist .
Buddhismus hebt Unbeständigkeit und Substanzlosigkeit hervor. Demnach ist die Welt nicht eine Sammlung getrennter Dinge, die gelegentlich miteinander interagieren, sondern das Zusammenfließen von Prozessen, Ereignissen, die alle wieder von anderen Prozessen abhängen. Die interessante Frage für uns ist heute: Was bedeutet das für den Buddhismus selbst? Wie ändert er sich beim Zusammentreffen mit der modernen Welt? Wir können sehen, wie sich der Buddhismus in Asien entwickelt hat: wann immer er auf eine neue Kultur traf, ging es nicht um Konfrontation und Kampfansage, die lokalen Götter oder Religionen zu überwinden, sondern es gab immer Interaktion, eine Art von gemeinsamer Entwicklung. Für mich ist China hier das klassische Beispiel: als Mahayana nach China kam, trat es in Interaktion mit der dortigen taoistischen Religion – es gab eine Art von Synkretismus mit viel gegenseitiger Befruchtung, und daraus entstand Chan: Zenbuddhismus. Ein anderes Beispiel wäre natürlich: als der tantrische Buddhismus nach Tibet kam und mit der örtlichen Tradition interagierte, entstand daraus der tibetische Buddhismus. Nun, Buddhismus kommt nun in den Westen, oder besser: in die moderne Welt. Das heißt nicht, dass wir im Westen ihn uns aneignen. Was können wir als Ergebnis dieser Interaktion sehen? Ein Beispiel wäre natürlich der Dialog zwischen Buddhismus und Christentum, der schon sehr produktiv gewesen ist. Aber es gibt einen Bereich, wo Buddhismus vielleicht die bisher größten Auswirkungen hatte: nämlich in der Psychologie, vor allem im Westen. Es gibt ja nicht nur westliche Psychotherapeuten, die Praktizierende des Buddhismus sind, sondern viele von ihnen sind selber buddhistische Lehrer. Es gibt eine andere Interaktion, von der ich heute sprechen möchte, nämlich zwischen sozialem Engagement und Buddhismus. Buddhismus, der in die moderne Welt kommt, trifft dort auf eine Tradition: auf die der abrahamitischen Religionen. Deren Traditionen fokussieren stark auf soziale Veränderungen, in einer Weise, wie es der Buddhismus in Asien nicht konnte. Und es ist aufregend zu sehen, wie sich für die buddhistische Tradition neue Möglichkeiten ergaben, sobald sie diesen Alternativen ausgesetzt wurde – und darauf will ich mich hier konzentrieren. Als Einstieg möchte ich die Frage der Ethik aufwerfen: nicht in erster Linie die Inhalte wie die 5 Silas oder die 10 Gebote, sondern die unterschiedlichen Funktionen von Ethik in Judentum, Christentum und Islam einerseits und Buddhismus andererseits. Ich denke, dass es hier große Unterschiede gibt, die für die Frage sozialen Engagements wichtig sind. Ich halte die Dualität von Gut und Böse für das fundamentale Paradigma der abrahamitischen Religionen. Wir sprechen von ihnen üblicherweise als von ethischem Monotheismus, und konzentrieren uns dabei meist auf den Monotheismus, auf Gott. Aber ich möchte mir hier die Ethik ansehen: die Frage: was ist der Kern von Gottes Beziehung zu uns, wie kommuniziert er mit uns? Im Talmud, in der Bibel, im Koran geht es vor allem um moralische Verpflichtung. Gott sagt uns, dass wir uns auf bestimmte Weise verhalten sollen, und dass wir belohnt werden, wenn wir das tun, und bestraft, wenn nicht. Schon im Mythos von Adam und Eva geht es um Ungehorsam Gott gegenüber: von Anfang an ist von Sünde die Rede. Ein paar Kapitel später in der Erzählung von der Arche Noah werden Menschen bestraft, weil sie nicht nach Gottes Geboten leben. Später werden Moses die 10 Gebote übergeben, in denen uns gesagt wird, was wir tun sollen und was nicht. Wenn wir zu Jesus übergehen: er scheint eine persönlichere Beziehung mit Gott, seinem Vater, zu haben, aber wir wissen, dass Väter ziemlich streng sein können. Das ist die erste Sache, die ich herausstreichen will: moralische Verpflichtung als Kern der abrahamitischen Traditionen, zumindest nach ihrer Institutionalisierung. Vielleicht fragt ihr Euch, warum ich darauf soviel Wert lege, da doch viele Leute, wahrscheinlich auch in diesem Raum, an diese Traditionen nicht oder nicht mehr glauben? Auch wenn sich heute viele Menschen vom abrahamitischen Gott distanzieren, bleibt dies trotzdem das grundlegende Paradigma, die Brille für unsere Weltsicht. Denkt an die Geschichten, die wir so lieben, an Fernseh- und andere Filme: Harry Potter, Der Herr der Ringe, James Bond…was geschieht da? Wir lieben diese Geschichten: den Kampf zwischen Gut und Böse. Ich betone das nicht nur, weil wir diese Geschichten lieben, sondern weil wir sie weiterhin selbst inszenieren, und darin liegt gleichzeitig die Stärke und die Schwäche dieses Paradigmas. Aus einer buddhistischen Perspektive liegt das Problem mit dieser Geschichte von Gut und Böse darin, dass es ein Beispiel für dualistisches Denken sein kann und oft auch ist. Nach buddhistischer Tradition ist dualistisches Denken trügerisch und schafft Leiden. Wenn wir dualistisch denken, machen wir Unterscheidungen: wir wollen das eine und wollen das andere nicht. Nun ist es aber die Natur dualistischen Denkens, dass du das eine ohne das andere nicht haben kannst. Die Bedeutung des einen ist die Negation des anderen, unabhängig voneinander haben sie keine Bedeutung. Es geht dann nicht um zwei getrennte Konzepte, sondern um zwei Seiten desselben Konzepts. Das ist kein bloß philosophisches Problem: nimm an, du willst ein „reines“ Leben führen. Wenn Dir das wirklich wichtig ist, wirst du dich intensiv mit „Unreinheit“ beschäftigen. „Reinheit“hat nur Bedeutung in Beziehung zu „Unreinheit“ und umgekehrt. Das deutlichste Beispiel für uns hier ist die Dualität zwischen Gut und Böse. Menschen, die wir als „gut“ bezeichnen, nennen wir so, weil sie das Böse bekämpfen. Denkt an James Bond: wie können wir wissen, dass er ein Guter ist? Weil er die Bösen bekämpft. Ich habe vorher gesagt, dass wir ähnliches selbst weiter inszenieren. Ein recht neues und tragisches Beispiel dafür wäre der Krieg gegen den Terror. Was war der Unterschied zwischen Osama bin Laden und George W. Bush? Waren sie nicht einfach Abbilder voneinander? Sie haben beide denselben heiligen Krieg gekämpft – des Guten gegen das Böse. Jeder von ihnen glaubte, er hätte – als ein Guter – die Verantwortung, die Bösen zu bekämpfen und zu zerstören. Das zeigt uns klar, worin das Problem mit dieser Dualität liegt. Die letzten zehn Jahre mit unglaublichem Leid, einer riesigen Menge von Toten, die Tatsache, dass in den USA nicht nur Menschen gefoltert werden, sondern dass das auch in gewisser Weise akzeptiert wird, haben dazu geführt, dass heute mehr Menschen auf der Welt als vor 10 Jahren die Vereinigten Staaten hassen wegen der Art, wie sie auf die Angriffe auf die Twin Towers reagiert haben. Das ist das tragische Paradox der Dualität von Gut und Böse. Eine der fundamentalsten Ursachen für das Böse in der Welt sind unsere Versuche, es zu zerstören. Denkt auch an das Beispiel Hitlers: was hat er versucht, als er so viele jüdische Menschen, Homosexuelle, Roma und andere getötet hat? Er wollte die Welt für die arische Rasse vom „Pack“ reinigen. Was hat Stalin getan, als er so viele Kulaken umbrachte – er hielt es für notwendig für seine Idee kollektiver Landwirtschaft. Denkt an Mao Tse Tung, der in China ganz Ähnliches mit Grundbesitzern getan hat, um eine „reine“ Welt zu schaffen – was die Grundidee von Revolution ist. Auch wenn wir diese Menschen als säkular bezeichnen, wenn keiner von ihnen sich einen Christen genannt hätte, liegt dennoch dieselbe christliche Dualität in dem, was sie erreichen wollten. Das zeigt uns die problematische Seite dieser dualistischen Sichtweise. Ich möchte aber auch herausstreichen, was daran so wichtig ist, die positive andere Seite. Das geht bis auf die hebräischen Propheten zurück, denen es um soziale Gerechtigkeit ging. Sie haben nicht nur die Menschen für abweichendes Handeln kritisiert, sondern sie haben die Herrschenden dafür kritisiert, dass sie Untertanen ausgebeutet, Waisen und Witwen schlecht behandelt haben. Propheten wie Amos und Isaias gingen herum und sagten: Ihr handelt böse und ihr werdet von Gott dafür bestraft werden. Die Sorge um soziale Gerechtigkeit, die wir zumindest in der westlichen Tradition kennen, geht auf die hebräischen Propheten zurück. Um die Entstehung der modernen Welt nachzuvollziehen, müssen wir das noch mit der griechischen Tradition in der Frühzeit der Demokratie in Athen verknüpfen. Ich sehe das so: den Hebräern ging es um soziale Gerechtigkeit und die griechischen Demokraten fügten hinzu, dass wir die Gesellschaft verändern können. Wir nehmen das heute für selbstverständlich und können kaum mehr wertschätzen, was für eine revolutionäre Einsicht das war. Griechen dachten als erste diesen Unterschied zwischen der natürlichen Welt und der menschlichen Gesellschaft. Der entscheidende Unterschied ist: wir können die Gesellschaft ändern, und das ist uns heute sehr vertraut. Aber dieses Verständnis herrschte in alten Gesellschaften noch nicht. Wenn wir zu vorgriechischen Gesellschaften zurückgehen, in Mesopotamien oder bei den frühen Mayas: sehr verallgemeinert gesagt: es gab noch kein Bewusstsein dafür, dass Gesellschaft etwas anderes ist als Ökosysteme. Sie nahmen ihre gesellschaftliche Situation als selbstverständlich hin, ähnlich wie die Naturbedingungen, unter denen sie lebten. Platon hingegen entwirft in „Der Staat“ eine neue Gesellschaft. Wir sind mittlerweile mit vielen anderen Entwürfen vertraut, aber im Kontext dieser Zeit war das ziemlich revolutionär. Wohin führt diese ursprüngliche Idee der Griechen, dass Gesellschaft verändert werden kann? Sie führt zu sozialen Revolutionen, zur Französischen, zur Russischen Revolution, zu den Menschenrechten, zur „Bill of Rights“, zu Kampagnen gegen die Sklaverei, zu Frauenrechten, zu den Rechten Homosexueller – diese Idee, dass wir unsere Gesellschaft neu strukturieren können, um sie zu verbessern. Und das ist fundamental für das, was westliche Tradition erreicht hat, eines der Dinge, auf die wir stolz sein und die wir besonders wertschätzen sollten. Ich habe also das Problem mit der westlichen Tradition herausgearbeitet, und auch seine Stärke. Ich möchte nun einen Schritt weitergehen und noch ein Problem aufzeigen, das sich aus diesem Verständnis, dass wir die Gesellschaft verändern können, ergibt. Warum geschieht es so oft, dass sich trotz unserer besten Absichten die Dinge nicht gut entwickeln? Warum geschieht es, dass eine Truppe von Gaunern durch eine andere ersetzt wird? Vielleicht kann uns Buddhismus helfen, das zu verstehen. Wenn sie sich nur auf die soziale Struktur konzentrieren und nicht auf persönliche Veränderung achten, haben Revolutionäre, die die Macht übernommen haben, weiter ihre Egos – sie haben nicht an sich selbst gearbeitet und verstehen ihre eigenen Motive nicht notwendigerweise. Wenn ich nicht an meiner Gier, meiner Böswilligkeit, meiner Ichsucht gearbeitet habe: was wird geschehen, wenn ich in eine mächtige Position gekommen bin? Es wird mir sehr schwer fallen, nicht persönlichen Vorteil daraus zu ziehen. Wenn ich mir meiner eigenen Aggression nicht bewusst bin, wie kann ich damit umgehen, kritisiert zu werden? Wenn ich mit meinem Ego nicht umgehen kann, habe ich eine natürliche Tendenz, der Situation meinen Willen aufzuprägen. Und das gilt, denke ich, nicht nur für revolutionäre Anführer, sondern für uns alle. Demokratie für sich ist ein starkes Werkzeug, aber sie garantiert nichts. Wer in einer demokratischen Gesellschaft lebt, ist noch immer von seiner eigenen Gier, seiner Aggression und Verblendung motiviert. Es lässt sich keine soziale Struktur schaffen, die so perfekt ist, dass Menschen sich nicht darum bemühen müssten, gut zu handeln. Und daran arbeiten wir uns weiterhin ab. Es hat so viele Umstürze, so viele Revolutionen gegeben, und wir haben es noch immer nicht so gut hingebracht, wie wir könnten. Es geht nicht, ohne dass wir an unserer persönlichen Veränderung arbeiten. Ich möchte jetzt die andere Seite betrachten: den Buddhismus. Wie ich schon sagte: natürlich gibt es Moral im Buddhismus, aber sie funktioniert anders. Wir wissen, dass die 5 Silas des Buddhismus im Alltag eine wichtige Rolle spielen. Aber wir werden sie missverstehen, wenn wir auf „abrahamitische“ Weise an sie herangehen, weil es im Buddhismus keinen Gott gibt, der uns sagt, wie wir uns verhalten sollen. Das Wesen der 5 Silas ist: wenn wir nach ihnen leben, wird sich unser Leben ändern. Die Art, wie wir uns selbst und andere Menschen erfahren und die Art, wie sie sich uns gegenüber verhalten, wird sich ändern. Die 5 Silas sind nicht Gebote, sondern Achtsamkeitsübungen. Aber: in der buddhistischen Tradition sind die Silas nicht das Wichtigste. Wenn wir eine Art von Dualität herausfiltern wollen, ist es die von Verblendung und Weisheit, oder von Ignoranz und Erwachen. Hier legt das Grundproblem, das gelöst werden muss. In der Brahmajala Sutta spricht Buddha zweimal von „Kleinigkeiten, Dinge von geringem Wert, bloße Moral…“ im Gegensatz zu anderen Dingen, die „schwer zu begreifen sind, verständlich nur für Weise…“ Das zentrale Thema beim Buddhismus ist also nicht Ethik, sondern Verstehen, wobei das nicht in bloß intellektuellem Sinn gemeint ist, sondern viel tiefer. Im Buddhismus ist das höchste Ziel, zu erwachen. Und wenn wir uns dem zuwenden, verschwindet die Idee eines außen liegenden moralischen Codes. Aus der Perspektive des Erwachens zeigt sich, dass die 5 Silas den Stützrädern beim Erlernen des Radfahrens ähneln – wenn du radfahren kannst, kannst du sie wegnehmen, du brauchst sie nicht mehr. Wenn du erwacht bist, hast du keine Tendenz, den Silas zuwiderzuhandeln, weil du deine wahre Natur erkannt hast. Wir nehmen andere Menschen dann nicht als außenstehend wahr, sondern als Aspekte von uns selbst. Wie passt da der Schwerpunkt der abrahamitischen Religionen dazu? Darum geht es: gar nicht. Buddhismus spricht nicht über soziale Gerechtigkeit. Am nächsten kommt noch der Begriff „Karma“. Aber im üblichen Verständnis ist Karma in die Struktur des Kosmos eingewebt, wir brauchen uns darüber nicht den Kopf zu zerbrechen. Anstelle von Gerechtigkeit, anstelle von Gut und Böse geht es im Buddhismus um Dukkha. Leid im weitesten Sinn: Unzufriedenheit – die Unfähigkeit, für lange Zeit glücklich zu leben.
Eine interessante historische Frage dabei ist: geht es bei der Art von Dukkha, von der Buddha sprach, nur darum, wie wir persönlich die Welt erleben, oder auch um Dukkha in sozialen Strukturen, um „institutionalisiertes“ Dukkha? Wir kennen Buddhas Weltsicht nicht. Wir wissen allerdings, was im Zuge der Institutionalisierung des Buddhismus geschah. Bald nach Buddhas Tod wurde seine Lehre institutionalisiert, Klöster wurden sehr wichtig, die Mönche ließen sich dort nieder, und der Buddhismus musste sich mit dem Staat, mit den Herrschenden arrangieren. Damit der Buddhismus in asiatischen Gesellschaften – die alle nicht demokratisch waren – überleben und gedeihen konnte, brauchte er Unterstützung oder zumindest Toleranz der Könige. Wenn diesen nicht gefiel, was in den Klöstern geschah, konnten sie sie zerstören, und manchmal taten sie das. Da es keine demokratischen Verhältnisse gab, hatte der Buddhismus nie die Gelegenheit, ein weiteres Verständnis von Dukkha zu entwickeln. Er lernte nicht, sich mit dem Dukkha, das Herrschende für Armen schufen, indem sie sie ausbeuteten, auseinanderzusetzen. Damit der Buddhismus in den Klöstern überleben konnte, musste er die Herrschenden unterstützen. Und unglücklicherweise war das durch eine mißbräuchliche Interpretation des Begriffs „Karma“ leicht möglich: Der König, reich und mächtig, muss, um als Prinz wiedergeboren zu werden, während seines Lebens sehr gutes Karma gehabt haben. Und die armen Leute, oder auch die Frauen: du hattest offenkundig sehr schlechtes Karma in einem früheren Leben. Aber gib niemand anderem die Schuld, verhalte dich wohl, dann hast du vielleicht eine Chance auf eine höhere Wiedergeburt. Ich übertreibe hier, aber nur ein wenig. Leider legte die Lehre vom Karma eine solche Fehlinterpretation nahe. Ich sage nicht, dass Buddha so gesprochen hat – es gibt Stellen im Palikanon, die deutlich machen, dass er das nicht getan hat – dennoch entwickelte sich diese Interpretation mit der Institutionalisierung des Buddhismus. Was ich sagen will: unabhängig davon, welche Vision Buddha gehabt haben mag, mit der Institutionalisierung fokussierte sich Buddhismus auf individuelles Dukkha, auf unsere persönliche Art zu denken, zu leiden. Und so entwickelte der Buddhismus diese großartige Sammlung meditativer und kontemplativer Praxis, die uns hilft, persönlich zu erwachen und unser individuelles Dukkha zu überwinden. Die Konsequenz ist natürlich, dass der Buddhismus in Asien keinen politischen Nachdruck hatte, er konnte Autoritäten nicht in Frage stellen. Westliche Tradition hat sich also auf soziale Veränderung und die Veränderung von Institutionen konzentriert. So wichtig das auch war, können wir auch die Beschränktheit sehen: wegen der Probleme mit dem individuellem Ego kann das nicht vollständig wirken. Gier, Böswilligkeit und Ichbezogenheit kommen immer wieder in die Quere, wenn wir die Bedeutung persönlicher Veränderung nicht anerkennen. Auf der anderen Seite: in den asiatischen Gesellschaften, von denen keine demokratisch war, hat Buddhismus diese wunderbare Palette meditativer Praxis und Lehren entwickelt, die uns helfen, unser Ego – Gier, Böswilligkeit und Verblendung – zu überwinden und zu erwachen, hatte aber wegen der beschränkten politischen Umstände nichts über institutionalisiertes Dukkha zu sagen. Erst in unserer Zeit – und ich denke, es ist nicht zu früh, denn wir leben in einer tiefen Krise der modernen Welt – können wir versuchen, diese beiden Paradigmata zusammenzubringen. Buddhismus hat eine besondere Weltsicht, die bietet, was dem Westen fehlt. Und gleichzeitig bietet die westliche Tradition Möglichkeiten sozialer Transformation, die im Buddhismus nicht entwickelt werden konnten. Und das Aufeinandertreffen der beiden in unserer Zeit der Krise halte ich für wirklich aufregend. Es geht nicht darum, einen der Wege zu wählen, beide sind wichtig im Zusammenspiel. Jeder hat anzubieten, was dem anderen fehlt. All das lässt sich im Begriff „Freiheit“ zusammenfassen: der Schwerpunkt westlicher Tradition lag auf institutionalisierter Freiheit: soziale, ökonomische, politische Freiheit, während es der asiatischen Tradition um das Erreichen psychologischer oder spiritueller Freiheit ging. Erst heute können wir die Beschränkungen beider Wege sehen, wenn sie für sich allein verfolgt werden. Wir müssen sie zusammenbringen. Ich möchte ein paar Beispiele geben, wie die beiden zusammenspielen können, und zwar mit einem Blick auf unsere ökonomische Situation. Die buddhistische Perspektive bietet uns eine neue Art, diese zu verstehen. Sie soll den westlichen Blick auf soziale Gerechtigkeit nicht verstellen, aber neue Einsichten bieten, die uns helfen, oberflächliche Lösungen zu vermeiden, die langfristig das Problem nicht lösen werden. Ich meine zum ersten das, was ich für die fundamentale Lehre Buddhas halte: die Verknüpfung zwischen Dukkha und der Empfindung des „Selbst“. Auch dank westlicher Psychologie können wir heute sagen: das „Selbst“ ist ein psychologisches und soziales Konstrukt. Die interessante Frage aus buddhistischer Perspektive ist: warum ist dieses „Selbst“ so sehr von Dukkha durchsetzt? Nun, woraus besteht die Empfindung des „Selbst“? Aus vorwiegend gewohnheitsmäßigen Formen des Denkens, Fühlens, Handelns, Reagierens, Erinnerns, Planens… in der Art, wie diese zusammenspielen, erzeugen sie die Empfindung eines Selbst. Das spielt sich „innen“ ab, und das Problem liegt darin, dass alles, was „außen“ liegt, als getrennt von mir, als anders als ich wahrgenommen wird. Hier entsteht eine Dualität, von der Buddha sagt, dass sie zu Verblendung führt. Und warum? Die Empfindung des „Selbst“ ist ein Prozess, kein Ding, sie hat keine Realität und es gibt auch nichts, was daran real werden könnte. Die Empfindung des „Selbst“ ist nicht nur grund-los, sie kann auch nicht ge-gründet werden, und ist daher von Natur aus unsicher. Solange ich der Verblendung unterliege, es gäbe ein getrenntes „Selbst“, kann ich nicht wissen, worin es besteht, und ich kann es nicht absichern. Die Empfindung des „Selbst“, das nicht abgesichert werden kann, ist immer überschattet von einer Empfindung des Mangels: irgendetwas stimmt nicht mit mir. Und buddhistische Lehre sagt: wir missverstehen das Problem, wir glauben der Mangel liege irgendwo außerhalb: ich habe nicht genug Geld, oder ich bin nicht mächtig genug. Wir neigen dazu, zu glauben, wenn wir nur genug von etwas hätten, was außerhalb von uns liegt, wäre es okay. Und Buddhismus sagt natürlich: nein, das ist ein totales Mißverständnis, es hat damit zu tun, dass wir zu unserer Natur erwachen müssen, der Leere der Empfindung des Selbst, der Leere der Illusion, es gäbe ein „Ich“ hier drinnen, das zu euch allen da draußen schaut. Was hat das mit Ökonomie zu tun? Wir haben ein ökonomisches System, das mit dieser Illusion spielt. Ein ökonomisches System, das mit den Mitteln der Werbung und mit dem Modell ökonomischen Wachstums arbeitet. Was ist unser Problem? Wir haben nicht genug Geld. Egal, wieviel Geld du hast – du brauchst mehr, du brauchst mehr Konsum-Spielzeuge. Aus buddhistischer Perspektive können wir noch ein ganz anderes Problem mit dem ökonomischen System wahrnehmen: es ist nicht nur sozial ungerecht, sondern es macht Jagd auf unserer Verblendung, es lässt uns denken: das nächste Ding, das wir kaufen werden, wird uns glücklich machen. Wir sollen uns als Menschen verstehen, die Geld machen und konsumieren. Dieser fundamentale Mangel, den wir empfinden und den der Buddhismus als Illusion identifiziert, passt leider perfekt zum ökonomischen System. Erinnert euch: ich spreche hier nicht über Gut und Böse, und nicht über soziale Gerechtigkeit. Ich leugne diese Dimension nicht, aber Buddhismus hat hier eine ganz andere Perspektive zu bieten. Jetzt möchte ich noch die institutionalisierte Seite ansehen. Es stellt sich die interessante Frage: in welchem Verhältnis steht das, was ich über die individuelle Seite gesagt habe, zu ökonomischen Institutionen? Interessanterweise hat der Buddha sehr wenig über das Böse per se gesagt, aber er sagte viel über das, was die drei Feuer oder die drei Gifte genannt wird, die drei Wurzeln des Übels, also Gier, Aggression und Verblendung. Buddha konzentrierte sich auf die Motive unseres Handelns. Er zeigte auf – und es sieht so selbstverständlich aus, aber es ist revolutionär: wenn du dein Leben verändern willst, wenn du die Welt und die Art, wie Menschen auf dich reagieren, anders erfahren willst, dann gibt es eine einfache Methode dafür, einfach, aber nicht notwendigerweise leicht: verändere deine Motive. Und das ist die Art, wie Buddha Karma interpretiert: wenn du dich nicht von Gier, Hass und Verblendung leiten läßt, wird das dein Leben verändern. Was sind die wichtigsten Teile des Konstrukts „Selbst“ bei der Interaktion mit anderen? Motive. Lassen wir uns durch Gier, Böswilligkeit und Ichsucht motivieren oder durch Großzügigkeit, liebende Güte und Weisheit? Buddha sagt: das macht enormen Unterschied, und es wird dein Leben verändern. Zurück zu Gier, Böswilligkeit und Ichsucht: heute gibt es so viel mehr an Technologien, soviel mehr an Wissenschaft, aber auch um vieles mächtigere Institutionen. Mit Institution meine ich hier eine soziale Struktur, die ein eigenes Leben annimmt, mit ihren eigenen Motiven, sodass sie schließlich unsere Motive für ihre Ziele verwendet. Buddha hat mit so etwas nicht viel zu tun – legalisierte Institutionen waren in seiner Zeit nicht stark. Wie ist das gemeint, dass Institutionen ihre eigenen Motive entwickeln? Denkt an den CEO eines großen transnationalen Konzerns. Nehmt an, dieser Mann beginnt, sich große Sorgen um den Klimawandel zu machen und möchte tun, was er zur Lösung des Problems der Erderwärmung tun kann. Wenn das, was er dafür tut, den Profit seines Konzerns irgendwie in Frage stellt, dann bekommt er Probleme und wird wahrscheinlich seinen Job verlieren. Konzerne sind so konstruiert, dass sie vor allem den Aktionären verantwortlich sind, und wenn ein CEO etwas tut, was deren Profite in Frage stellt, werden die Aktionäre über den Aufsichtsrat darauf reagieren. Wenn das für den CEO an der Spitze der Hierarchie zutrifft, um wieviel mehr für jeden anderen Mitarbeiter, der ihm unterstellt ist. Durch die Art, wie ein Konzern rechtlich strukturiert ist, werden die Spielregeln festgelegt, die die Investoren zufriedenstellen sollen, und daher sind die Möglichkeiten, nach deinen eigenen Motiven zu handeln, sehr beschränkt, wenn sie nicht zu den Motiven der Struktur passen. Ich spreche deswegen so viel über Institutionen, weil ich denke, dass wir ein neues Problem haben, das sich dem Buddha nicht stellte: die drei Feuer sind institutionalisiert worden. Aus buddhistischer Perspektive würde ich sagen: unser Wirtschaftssystem ist institutionalisierte Gier, unser militärisches System ist institutionalisierte Gewalt und unsere Medien, zum Teil auch unser Bildungssystem sind institutionalierte Verblendung. Medienkonzerne legen fest, worüber wir informiert werden, was wir wissen, und ihnen geht es um den Profit durch Werbung. Wir sollen konsumieren, nicht informiert werden. Wenn es stimmt, dass Gier, Aggression und Verblendung auf diese Weise institutionalisiert worden sind, und wenn Buddha recht hatte, dass diese drei die Wurzeln des Bösen sind, dann sind wir in einer beängstigenden Lage. Buddhismus weist auf eigene Weise auf das Wesen von Institutionen hin und wie sie funktionieren. Ich möchte mit ein paar Worten darüber schließen, wie Gier institutionalisiert worden ist. Was ist Gier? Eine Definition ist: du hast nie genug. Ich denke, das gilt nicht nur auf persönlicher, sondern auch auf institutioneller Ebene. Es gehört zur Natur von Konzernen, dass sie nie groß genug sein können. Du kannst nie zuviel Profit haben, dein Marktanteil kann nie groß genug sein. Wir können uns gar nicht vorstellen, was groß genug wäre – das Konzept passt hier einfach nicht. Stellt euch die Börse vor. Aus buddhistischer Perspektive könnte man sagen: in bezug auf Verantwortlichkeit funktioniert sie wie ein amoralisches Schwarzes Loch. Auf der einen Seite gibt es die Investoren, Millionen von ihnen, die durch Investitionen Profit machen wollen – das ist alles, woran sie interessiert sind und sein müssen. Diese Menschen sind natürlich nicht böse. Investieren – das macht man einfach, wenn man Geld übrig hat. Schaut euch jetzt die andere Seite dieses Schwarzen Lochs an: da wird ein nicht nachlassender anonymer Druck für Wachstum und steigende Profite erzeugt. Nochmals: es geht hier nicht um böse Menschen – so funktioniert einfach das System, in dem bestimmte Arten von Motiven eingebaut sind, die unsere Motive für seine eigenen Absichten nützen. Die Globalisierung der Profitmaximierung bedeutet, dass die Maschine des Mehr und Mehr in allen ökonomischen Aktivitäten auf der Welt überhand nimmt. Daneben gibt es nur mehr „externe Effekte“ wie Umweltzerstörung, soziale Konsequenzen bei Produktion in „Billiglohnländern“ und auch der Druck auf uns alle, uns nur mehr als Produzenten und vor allem als Konsumenten zu verstehen. Wer ist für diesen institutionalisierten Druck verantwortlich? Das System hat sein eigenes Leben entwickelt. Niemand persönlich ist verantwortlich, jede/jeder ist verantwortlich. Aber die Verantwortlichkeit diffundiert auf anonyme Weise, wir fühlen sie nicht. Wir sind alle einbezogen in dieses System und spielen verschiedene Rollen darin, als Arbeitnehmer, als Unternehmer, als Konsumenten, Investoren, Pensionisten…, aber mit wenig Verständnis für unsere persönliche Verantwortlichkeit für das, was die Totalität des Systems tut. Der ökonomische Prozess hat sich in seiner Anonymität verselbständigt. Wir tun alle nur unseren Job. Zusammenfassend: eine buddhistische Perspektive bietet eine andere Form von Kritik. Es geht nicht in erster Linie um Gut und Böse. Es geht um Dukkha und dessen Verbindung mit der irreführenden Vorstellung von „Selbst“. Die buddhistische Betonung von Gier als der ersten der drei Wurzeln von Dukkha impliziert: wenn Gier institutionalisiert wird, dann untergräbt sie, worum es in jedem guten Wirtschaftssystem gehen sollte: menschliches Glück. Das gegenwärtige Wirtschaftssystem wirkt gegen Wohlbefinden der Menschen und Gedeihen der Biosphäre. Wir sehen das nicht nur aus der traditionellen westlichen Perspektive sozialer Gerechtigkeit, sondern auch aus buddhistischer Perspektive. Die eine Perspektive widerspricht der anderen nicht. Beide zusammen sind wichtig. Was die buddhistische Perspektive so wichtig macht: wenn wir nur an soziale Gerechtigkeit und Umverteilung denken, könnten wir das sogar erreichen, etwa durch Vergrößerung des Mittelstands, aber aus buddhistischer Perspektive löst Konsumdenken das grundlegende Problem nicht. Wir alle müssen uns der Aufgabe, persönlich zu wachsen, noch ernsthafter stellen. Ein perfektes Wirtschaftssystem wird es nicht geben; die Empfindung des Mangels bleibt. Menschen werden immer auch an sich selbst arbeiten müssen. Hier wird ein bestimmtes Verständnis von Buddhismus in Frage gestellt. Es reicht nicht aus, sich auf seine eigene Praxis, sein eigenes Erwachen zu konzentrieren. Lass mich allein, wenn ich erleuchtet bin, kann ich mich um anderes kümmern: diese dualistische Denkweise ist keine Lösung. Das heißt nicht, dass wir nicht Zeit für unsere persönliche Praxis verwenden sollten, aber die Idee, ich könnte mein eigenes Wohlergehen getrennt vom Wohlergehen aller anderen fördern: darin liegt die grundlegende Verblendung. Die große Einsicht des Buddhismus ist, dass wir das nicht tun können, da wir alle Teil voneinander sind. Wenn ich beginne, aufzuwachen und mein eigenes Dukkha zu überwinden, stelle ich fest, dass das Dukkha der anderen auch meines ist, und es wird mir auch bewusster, wie Dukkha nicht nur persönlich ist, sondern auch in Institutionen strukturiert, und hier liegt der Sprung, den der moderne Buddhismus machen muss.