Buddha über das Denken

Aus der Dvedhavitakka Sutta 1

buddha

Ihr Bhikkhus, vor meinem Erwachen, als ich noch lediglich ein unerleuchteter Bodhisattva war, kam mir in den Sinn: angenommen, ich teile meine Gedanken in zwei Klassen ein. Auf die eine Seite brachte ich dann Gedanken der Sinnesbegierde, Gedanken des Übelwollens und Gedanken der Grausamkeit und auf die andere Seite brachte ich Gedanken der Entsagung, Gedanken des Wohlwollens und Gedanken der Freundlichkeit.
Während ich so umsichtig, eifrig und entschlossen verweilte, erschienen Gedanken der Sinnesbegierde, des Übelwollens, der Grausamkeit in mir. Ich verstand: Dieser Gedanke der Sinnesbegierde, des Übelwollens, der Grausamkeit ist in mir entstanden. Dies führt zu meinem eigenen Leid, zum Leid anderer und zum Leid aller Beteiligten; es beeinträchtigt Weisheit, verursacht Schwierigkeiten und führt vom Erwachen weg. Als ich erwog: Dies führt zu meinem eigenen Leid, verschwand es; als ich erwog: Dies führt zum Leid anderer, verschwand es; als ich erwog: Dies führt zum Leid aller Beteiligten, verschwand es; als ich erwog: Dies beeinträchtigt Weisheit, verursacht Schwierigkeiten, und führt vom Erwachen weg, verschwand es. Wann immer ein Gedanke der Sinnesbegierde, des Übelwollens, der Grausamkeit in mir erschien, gab ich ihn auf, entfernte ihn, beseitigte ihn.
So wie im letzten Monat der Regenzeit, im Herbst, wenn das Korn heranreift, ein Kuhhirte seine Kühe hüten würde, indem er sie ständig mit einem Stock auf die eine und die andere Seite klopft und stupst, um sie zu zügeln und im Zaum zu halten…
Während ich so umsichtig, eifrig und entschlossen weilte, erschienen Gedanken der Entsagung, des Wohlwollens, der Freundlichkeit in mir. Ich verstand: Dieser Gedanke der Entsagung, des Wohlwollens, der Freundlichkeit ist in mir entstanden. Dies führt nicht zu meinem eigenen Leid, oder zum Leid anderer oder zum Leid aller Beteiligten; es fördert Weisheit, verursacht keine Schwierigkeiten, und führt zum Erwachen hin. Wenn ich über diesen Gedanken nachdenke und nachsinne, und sei es sogar eine Nacht lang, sogar einen Tag lang, sogar eine Nacht und einen Tag lang, sehe ich nichts, was davon zu befürchten wäre. Aber mit übermäßigem Nachdenken und Nachsinnen könnte ich meinen Körper ermüden, und wenn der Körper ermüdet ist, wird der Geist überanstrengt, und wenn der Geist überanstrengt ist, ist er von Konzentration weit entfernt. Also festigte ich meinen Geist innerlich, beruhigte ihn, brachte ihn zur Einheit und konzentrierte ihn. Warum? Weil mein Geist nicht überanstrengt werden sollte.
Ihr Bhikkhus, worüber auch immer ein Bhikkhu häufig nachdenkt und nachsinnt, das wird seine Geistesneigung werden. Wenn er häufig über Gedanken der Entsagung nachdenkt und nachsinnt, hat er den Gedanken der Sinnesbegierde aufgegeben, um den Gedanken der Entsagung zu pflegen, und dann neigt sein Geist zu Gedanken der Entsagung. Wenn er häufig über Gedanken des Wohlwollens nachdenkt und nachsinnt, hat er den Gedanken des Übelwollens aufgegeben, um den Gedanken des Wohlwollens zu pflegen, und dann neigt sein Geist zu Gedanken des Wohlwollens. Wenn er häufig über Gedanken der Freundlichkeit nachdenkt und nachsinnt, hat er den Gedanken der Grausamkeit aufgegeben, um den Gedanken der Freundlichkeit zu pflegen, und dann neigt sein Geist zu Gedanken der Freundlichkeit. So wie im letzten Monat der heißen Jahreszeit, wenn alles Korn in die Dörfer eingebracht worden ist, ein Kuhhirte seine Kühe hüten würde, während er sich am Fuß eines Baums oder im freien Gelände aufhält, da er nur darauf zu achten braucht, dass die Kühe anwesend sind; genauso bestand für mich nur die Notwendigkeit, achtsam darauf zu sein, dass jene Geisteszustände anwesend waren.

So können wir Einfluss nehmen auf die Gedanken – aus denen wir Geschichten über uns selbst und unseren Ort in der Welt bauen – sagt Siddharta Gautama. Ähnlich wie im Vergleich mit kundiger Handwerksarbeit, den Stephen Batchelor zitiert 2 spricht der Buddha von der gewöhnlichen Tätigkeit eines Hirten. Dabei ist mir der Unterschied zwischen den beiden Metaphern aufgefallen, die er gebraucht. Im ersten Bild ist der Hirte dauernd beschäftigt, seine Kühe im Zaum zu halten, weil rund um sie das reifende Korn steht; wenn das einmal entfernt ist, braucht er viel weniger Energie und ist freier geworden für anderes.

  1. Palikanon, Majjhima Nikaya 19, 1. Teil. Der 2. Teil, auf den ich in einem späteren Beitrag eingehen möchte, behandelt die Jhanas, Zustände besonderer Versenkung jenseits von hilfreichen und schädlichen Gedanken. Von mir gekürzte deutsche Übersetzung, zitiert von: http://www.palikanon.com/majjhima/zumwinkel/m019z.html, E .G.
  2. s. sein Beitrag auf diesem Blog über das Selbst

Was uns glücklich macht
Gedanken von Erich Fromm

Dinge können alles mögliche hervorbringen, doch sie können nicht lieben, weder einen Menschen, noch das Leben. Heute glauben die Menschen, man könne überhaupt nichts genießen, was man nicht kaufen muss. Die Wünsche des Konsumenten werden durch den Produzenten erzeugt. Der Käufer hat nur das zweifelhafte Privileg, zwischen verschiedenen miteinander konkurrierenden Produkten zu wählen. Wer bin ich, wenn ich bin, was ich habe, und dann verliere, was ich habe? Der Frage, wer man eigentlich ist, versucht man auszuweichen. Man setzt sich ins Auto und fährt davon.

haben oder sein

Liebe ist etwas, das man in sich selbst entwickelt, nicht etwas, dem man verfällt. Die meisten Menschen glauben, Liebe komme erst durch ein Objekt zustande und nicht auf grund einer Fähigkeit. Es gibt nichts Anziehenderes als einen Menschen, der liebt, und dem man anmerkt, dass er nicht irgendetwas oder irgendwen, sondern das Leben liebt. Liebe ist die Erfahrung des Teilens; der Gemeinschaft, die die volle Erfahrung des eigenen Tätigseins erlaubt. Wer sich entschließt, ein Problem mit Liebe zu lösen, braucht den Mut, Enttäuschung auszuhalten und trotz Rückschlägen geduldig zu bleiben. Ohne Anstrengung und ohne Bereitschaft, Schmerz und Angst zu durchleben, kann niemand wachsen. Solange jemand glaubt, sein Ideal und sein Daseinszweck liege außerhalb seiner selbst, sei es über den Wolken, in der Vergangenheit oder in der Zukunft, lebt er außerhalb seiner selbst. An jedem Punkt seines Lebens ist der Mensch noch nicht das, was er sein kann und was er möglicherweise werden wird. Die wichtigste Lebensaufgabe des Menschen besteht darin, sich selbst zur Geburt zu verhelfen und das zu werden, was er potentiell ist. Glücklichsein heißt Fülle erleben und nicht Leere, die gefüllt werden muss. Glücklichsein besteht darin, dass wir den Felsgrund der Realität berühren, dass wir unser Selbst entdecken und uns mit anderen eins und gleichzeitig von ihnen unterschieden fühlen. Glücklich zu sein ist nicht das Wichtigste im Leben, sondern lebendig zu sein. Freude ist das Ergebnis intensiven Lebens. Das Leben ist das Meisterstück eines jeden Menschen.

Den deutsch-amerikanischen Philosophen und Psychologen Erich Fromm, über den es auf diesem Blog einen früheren Beitrag gibt, möchte ich mit diesen Zitaten aus seinen Texten in Erinnerung rufen.

Geschichten sind unmöglich, doch ohne Geschichten können wir unmöglich leben

Diesem Satz fügt der deutsch-amerikanische Filmregisseur Wim Wenders noch hinzu: Da haben wir den Salat. Unter diesem Motto beginnt Stephen Batchelor seine autobiographische Geschichte „Bekenntnisse eines ungläubigen Buddhisten“. Mit Geschichten über uns selbst und andere erklären wir uns selbst und anderen das Leben, versuchen zu verstehen, rechtfertigen unsere Handlungen, wählen aus, erfinden, verwerfen, schließen ein und grenzen ab. Wie wir Menschen auf diese Weise unser Selbst konstituieren und es gleichzeitig nicht fassen können, das beschäftigt uns hier auf dieser Website schon seit längerem. magic open book of fantasy stories Ein kleiner Rückblick auf Aspekte, auf die wir dabei gestoßen sind 1: David Loy schreibt darüber, dass wir Menschen die Welt nur durch das Erzählen von Geschichten ordnen und verstehen können. Nicht darin liege ein Problem, sondern darin, dass wir uns das meist nicht bewusst machen und so tun, als wären unsere Geschichten die Welt. Dahinter steht einfach oft Angst, weil wir unser „Ich“ – wenn wir es von allen anderen als getrennt erleben – nie wirklich stabilisieren und so autark machen können, wie wir uns das wünschen. Dieses Getrenntsein sei aber eine Illusion; zum Erwachen gehöre die Erkenntnis, dass meine Geschichte nur Teil einer viel umfassenderen Geschichte aller Menschen, aller Lebewesen sei. Freiheit liege darin, sich in diesen Geschichten bewegen, die eigenen Rollen und Blickwinkel wechseln zu können. Julian Baggini arbeitet vor allem heraus, dass das „Selbst“, von dem hier die Rede ist, keine Illusion sei, wohl aber die Vorstellung von seiner unveränderlichen, unsterblichen Essenz. Thomas Metzinger spricht von einem „Selbstmodell“ im menschlichen Gehirn, bei dem es sich um eine begriffliche Hilfskonstruktion handle, die wir aber nicht als solche erfahren könnten. Er weist darauf hin, dass wir unter diesem „Selbstmodell“, verletzlich wie es sei, oft leiden, weil wir andauernd versuchten es aufrechtzuerhalten und zu stärken. Gemeinsam ist ihnen, dass für sie alle Narrative Konstrukte sind, die auch umgebaut, anders beleuchtet, aus ungewohnten Blickwinkeln gesehen werden können. Unsere Geschichten und die Art, wie wir sie erzählen, können Dukkha in unserem Leben steigern oder verringern. Stephen Batchelor geht handlungsorientiert an das Thema heran. In dem Prozess, sich dem zu überlassen, wie das Leben selbst sich entfalte, gebe es nichts, worauf man sich berufen könne und sagen: Das bin ich wirklich. Das heiße aber nicht, dass ich nicht existiere. Batchelor betont, für Buddha sei das Selbst ein Projekt, das wir verwirklichen sollten und nicht ein Zustand, der nach Bestätigung oder Ablehnung verlange. Er zitiert Buddhas Worte:

Wie ein Bauer sein Feld bewässert, wie ein Pfeilmacher einen Pfeil formt, wie ein Tischler ein Stück Holz bearbeitet, so zähmt der Weise das Selbst.

Victor von der Heyde weist darauf hin, dass wir unsere eigenen Geschichten kaum hinterfragen und also meist nur recht vage Vorstellungen davon haben, wie wir uns selbst definieren. Es gehe darum, Einfluss auf die Selbstbilder zu nehmen, an denen wir manchmal zu sehr festhalten. Es sei möglich, diesen Griff zu lockern. Er stellt einige ganz praktische Möglichkeiten vor, die helfen können, unsere Blickwinkel zu öffnen und zu erweitern. David Loy spricht in seiner Auseinandersetzung mit dem „Selbst“ über den Text seines Lieblingsstickers: Glaub nicht alles, was du denkst. Eine aufmerksame Leserin hat uns darauf hingewiesen, dass er hier Byron Katie zitiert. Bevor wir über ihre Arbeit berichten, wollen wir in einem nächsten Beitrag Worte von Siddharta Gautama über das Denken einblenden.

  1. Das ist nur eine kurze Zusammenschau. Weiterführende Literaturhinweise finden sich bei den früheren Beiträgen über die zitierten Autoren auf diesem Blog

Ihn hätten viele Historiker gern vergessen: U Dhammaloka

Wie sind die Lehren Siddharta Gotamas in den Westen gekommen? Auf welchen Wegen haben sich Vorstellungen von „Buddhismus“ in Europa und Nordamerika verbreitet?

Europäer begannen ab der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, die Lehren Buddhas zu studieren und ihnen zu folgen. Männer wie die Engländer Bhikku Asoka (H. Gordon Douglas) und Ananda Metteyya (Allan Bennett) sowie der Deutsche Nyanatiloka (Anton Gueth) lebten und lehrten viele Jahre in Burma, Ceylon und anderen ostasiatischen Ländern als ordinierte buddhistische Mönche. Sie waren „gentleman scholars“ und fanden in Europa vor allem in akademischen Kreisen Beachtung und Widerhall. Es ging ihnen darum, mit der Präsentation von Buddhas Lehre herauszustreichen, dass diese westlicher Philosophie und Religion ebenbürtig sei; sie vertraten intellektuelle Respektabilität. Verschiedenartigkeit und Widersprüche blieben dabei vorerst auf der Strecke, vor allem aber der Blick auf die Funktion, die Buddhismus in seiner jeweiligen Gesellschaft ausüben kann und soll.

Noch vor diesen intellektuellen Mönchen hat ein Mann gewirkt, der aus einer ganz anderen Ecke kam: U Dhammaloka.

Dhammaloka_in_1902_aged_about_50

Geboren ist er in den 1850er Jahren in Dublin wahrscheinlich unter dem Namen Lawrence Carroll 1 als Sohn eines Gemüsehändlers. Er ging früh von zuhause fort und schlug sich als Landstreicher durch, gelangte per Schiff in die USA, die er als Wanderarbeiter von Ost nach West durchquerte. Von dem Schiff, auf dem er angeheuert hatte, wurde er in Japan wegen betrunkenen Randalierens runtergeworfen. In der Blütezeit der Kolonialisierung hatte er in Ostasien von vornherein keinen leichten Stand: ungebundene und arme Weisse wie er waren für die Kolonialbehörden unerwünscht, weil ihr bloßes Dasein die Überlegenheit der weißen Rasse in Frage stellte und die Grenzen zwischen europäischen Herren und eingeborenen Untertanen verwischte. Carroll kam nach Rangoon in Burma, wo er als Angestellter bei einer der Firmen arbeitete, die Tropenholz schlägerten und vermarkteten. Er war kein Analphabet, hatte aber über Lesen und Schreiben hinaus so gut wie keine formale Bildung. Vom strengen Katholizismus seiner irischen Heimat hatte er sich radikal distanziert, auf seinen Fahrten war er vertraut geworden mit den Ideen der Freidenker, die einen atheistischen Humanismus vertraten. In Burma lernte er Buddhas Lehre kennen, die dort allgegenwärtig war; um 1884 trat er als Novize in ein Kloster ein, wo er die nächste Zeit verbrachte. Nach einigen Jahren des Studiums und der Praxis, in denen er auch die Landessprache erlernte, wurde er zum Theravada-Mönch ordiniert. Im Jahr 1901 trat er erstmals öffentlich in Erscheinung: er kritisierte einen indischen Polizeioffizier, der eine Pagode mit Schuhen betreten hatte. In burmesischen Zeitschriften veröffentlichte er Anzeigen, in denen er sich scharf gegen die vielen christlichen Missionare wandte, von denen er schrieb, sie kämen mit Bibel, Schnapsflasche und Gewehr daher. British_forces_arrival_mandalay1885 Auf vielen Predigt-Reisen in Burma, in Japan, Siam, Indien, Ceylon und anderen Ländern rief U Dhammaloka, wie er nun genannt wurde, die Bevölkerung dazu auf, ihre eigene buddhistische Kultur und Religion zu bewahren. Besonders in Burma hatte er enormen Zulauf; Tausende kamen, wenn er witzig, schlagfertig und redegewandt predigte. Die buddhistische Lehre auszulegen überließ er anderen, aber er trat vehement und unerschrocken für ihren Fortbestand als Teil der nationalen Identitäten und damit implizit auch gegen die kolonialen Machthaber auf. Er hatte sich auch zum Temperenzler, also zum aktiven Gegner des Alkoholtrinkens gewandelt. Als Plattform und Sprachrohr gründete er die „Buddhist Tract Society“, wo er selbst zahlreiche Artikel und Traktate in diesem Sinn veröffentlichte. Buddhist_Tract_Society_Burma_logo Er korrespondierte mit „Freidenkern“ in aller Welt und veröffentliche einschlägige Literatur in Burma. Im Jahr 1910, nach zehn Jahren unermüdlicher Tätigkeit, wurde er wegen Aufwiegelung angezeigt und verurteilt. Danach verliert sich seine Spur – wann und wo er gestorben ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Trotz seiner großen Bekanntheit in Ostasien, aber auch in internationalen Freidenker-Kreisen während seiner Wirkungszeit von 1900-1910 ist U Dhammaloka für Jahrzehnte auch für Historiker fast ganz in Vergessenheit geraten. Die Fachleute, die in den letzen Jahren begonnen haben, sich mit seiner Person zu beschäftigen, halten das für keinen Zufall: Zu groß ist die Diskrepanz zwischen U Dhammalokas engagiert-pragmatischem Einsatz als Buddhist in der gesellschaftlichen Situation, die er vorgefunden hatte und dem hehren, weltabgewandten Bild von Buddhas Lehre, das akademische Mönche der Welt vermittelt haben und das bis heute in westlichen Buddhistinnen und Buddhisten nachwirkt. Vor einigen Jahren haben eine Forscherin und zwei Forscher ursprünglich unabhängig voneinander begonnen, sich mit U Dhammaloka und seinem Werk auseinanderzusetzen 2. Die Chancen stehen gut, dass U Dhammaloka/Laurence Carroll bald noch bekannter werden wird: der mehrfach preisgekrönte irische Dokumentarfilmer Ian Lawton bereitet soeben die Produktion eines Films mit dem Titel: The Dharma Bum vor. coque iphone Für diese unabhängige, frei finanzierte Arbeit wirbt und sammelt er auf der Website: https://dana.io/thedharmabum. Wie wär’s mit einem finanziellen Beitrag? In einem Interview mit dem US-amerikanischen säkularen Buddhisten Ted Meissner 3 sagt Lawton: Geschichte wird von den Mächtigen geschrieben. Das muss ja nicht immer und überall so bleiben.

  1. er hat später auch andere Namen gebraucht
  2. Das sind: Alicia Turner, Laurence Cox und Brian Bocking: In dem Youtube-Video https://www.youtube.com/watch?v=3mUil5bVPsI erzählt Bocking über die Vernetzung und gemeinsame Forschung der drei WissenschafterInnen. Eine informative Einführung von Laurence Cox mit dem Titel: Laurence O’Rourke / U Dhammaloka: working class Irish freethinker, and the first European bhikkhu findet sich in: http://www.globalbuddhism.org/10/cox09.pdf (in englischer Sprache)
  3. http://secularbuddhism.org/2015/05/31/episode-224-ian-lawton-the-dharma-bum-dhammaloka/

Da ist uns einiges entgangen
Das Werk des Lukrez geht uns an, aber kaum jemand kennt es

Ein paar Sätze sind uns, die wir im christlichen Abendland sozialisiert wurden, in die Herzen und Hirne eingewachsen und haben uns geprägt, ob unsere Erziehung religiös war oder nicht. Auch wenn wir sie heute zumindest teilweise nicht mehr für bare Münze nehmen, sind sie nicht leicht loszuwerden – in unseren Hinterköpfen tragen wir sie weiter mit uns herum:

Die Welt ist von einem Gott erschaffen worden. Für schuldhaftes Handeln bestraft er uns, vielleicht auch noch nach dem Tod, den wir fürchten. Der Mensch hat eine unsterbliche Seele, er ist die Krone der Schöpfung und damit wertvoller als andere Lebewesen. Er soll sich die Erde untertan machen, und das am besten schnell. Dafür muss er sich von anderen Menschen abgrenzen und in Konkurrenz zu ihnen treten. Persönlicher Besitz gibt Sicherheit, je mehr, desto besser. Sinnenfreude und sorgenfreie Lust sind verdächtig.

Es gibt in der europäischen Geistesgeschichte eine starke Minderheit von Denkern, die all das – immer entsprechend den gesellschaftlichen Bedingungen der Zeit, in der sie lebten – in Frage gestellt haben. Einer dieser Männer war der römische Dichter und Philosoph Titus Lucretius Carus, der im ersten Jahrhundert v.u.Z. lebte. Er hat ein einziges Werk hinterlassen: Das Lehrgedicht De rerum natura – Über die Natur der Dinge 1.

lukrezEs beginnt mit einem hochgestimmten Loblied auf die Schönheit und Fruchtbarkeit der Erde. Im folgenden lehrt Lukrez:

Einen Schöpfergott gibt es nicht, nur Körper und Leere, sonst nichts. Materie besteht aus Atomen, die sich in unendlicher Zahl im leeren Raum bewegen. Durch die immer wiederkehrende Veränderung ihrer Stellung zueinander mit kleinen zufälligen Abweichungen entstehen die Dinge und die Lebewesen: die Natur experimentiert unaufhörlich. Wenn Vorhandenes stirbt, entsteht daraus Neues. Das Universum ist nicht geschaffen worden, schon gar nicht für oder wegen der Menschen – diese sind vergänglich wie alle anderen Lebewesen und ihnen nicht überlegen. Die Seele ist sterblich wie der Körper, weil sie von ihm nicht zu trennen ist. Es gibt kein Leben nach dem Tod, aber dieser berührt uns auch nicht, weil unser Empfinden dann ausgelöscht sein wird. Es gibt einen Kreislauf des Lebens, das wie bei einem Fackellauf in immer neuer Form weitergegeben wird. Ein gutes Leben zu führen bedeutet, alles maßvoll zu genießen, was die Sinne bieten, darunter auch Sexualität, obgleich dabei immer ein Rest Sehnsucht bleibt, weil Verschmelzung für zwei Menschen nicht möglich ist. Genuss ist erstrebenswert, Luxus aber sinnlos und überflüssig. Glück kann nicht auf Kosten anderer erreicht werden. Gemütsruhe ist höchstes Ziel, die größten Hindernisse dafür sind übermäßiges Begehren und die Angst vor dem Tod – beides kann durch Vernunft ausgeräumt werden. Dabei dürfen die Gedanken nie dem sinnlichen Empfinden widersprechen. Religionen sind abergläubische Täuschungen, entstanden aus der Angst der Menschen vor Naturphänomenen wie Blitz und Donner und dem Unwissen über deren Ursachen. So haben die Menschen sich Götter erfunden und sie im Himmel angesiedelt; diese sind aber ganz entrückt und kümmern sich nicht um das, was auf der Welt geschieht. Götterglaube hat den Menschen viel Leid gebracht. Ehrfurcht liegt nicht in Götzenverehrung, sondern nur darin, allem und allen mit ruhigem Geist zu begegnen.

Gegen Ende des Textes beschreibt Lukrez Naturphänomene wie Gewitter, Wolken, Regen und Regenbogen und erklärt sie; so wirkt er abergläubischen Vorstellungen entgegen. de rerum naturaDas Gedicht umfasst circa 7400 Verse in geschliffenem, poetischen Latein von großer sprachlicher Schönheit. Es ist eine umfassende Darstellung der Philosophie von Epikur 2, dem verehrten Vorgänger des Lukrez. Epikurs Lehre war mehrere Jahrhunderte lang in der antiken Welt unter einer großen Schar von Anhängern weit verbreitet. Seine Philosophie ist in keinem anderen Text so ausführlich überliefert wie hier. Lukrez würdigt Epikur mehrmals bewundernd als seinen Lehrer – sich selbst nennt er eine Schwalbe neben diesem Schwan. Einiges erinnert an Gotama Siddhartas Lehre. Ohne in Details zu gehen: Heutige Forscher sind sich einig, dass es zwischen den Ideenwelten des frühen Buddhismus und altgriechischer Philosophie Parallelen und Querverbindungen gibt, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zufällig sind und auf Kontakte zwischen Indien und Griechenland zurückzuführen sein dürften 3. Und eine geistige Verwandtschaft klingt auch für uns Heutige an, wenn wir Lukrez lesen. So sehr De rerum natura von den Zeitgenossen geschätzt und eifrig gelesen wurde: das nahm ein Ende. Der Staat machte sich daran, die Traditionen eigenständig-kritischen Denkens und die selbstverständliche Koexistenz heidnischer Kulte zu zerstören. Es lag im Interesse der kaiserlichen Macht in Rom, die monotheistische Lehre aus dem Vorderen Orient, die nach den anfänglichen Christenverfolgungen viel Zulauf fand, institutionell zu verfestigen. Im 4. Jahrhundert machte Kaiser Theodosius das Christentum zur Staatsreligion; im Zuge der Durchsetzung dieses Schritts wurde der Zugang zu Büchern wie dem des Lukrez, die potentiell subversiv wirken konnten, erschwert, sie wurden öffentlich lächerlich gemacht oder einfach verboten. Das Bild von abgehobenen Göttern im Himmel, die an Menschenschicksalen nicht interessiert sind, passte nicht zu der Vorstellung vom strafenden Schöpfergott. Die Angst vor einer übermächtigen Instanz zu schüren erwies sich als eine gute Strategie, die Angepasstheit von Untertanen sicherzustellen – der Aufklärer Lukrez verfolgte diametral entgegengesetzte Ziele: eigenständiges Denken zu fördern, allem Aberglauben entgegenzuwirken und Angst zu verringern. Nur eine einzige Handschrift seines bis dahin weit verbreiteten Gedichts überlebte. Sie wurde im 15. Jahrhundert von einem italienischen Büchersammler in einem deutschen Kloster aufgespürt 4. Erst im Verlauf der Renaissance und mit dem Aufkommen des Buchdrucks wurde der Text wieder bekannter. Männer wie Michel de Montaigne, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Nietzsche, Albert Einstein und Albert Camus haben ihn geschätzt und sich auf ihn berufen. Und warum erzähle ich euch das alles? Ich denke daran, wie anders persönliche Entwicklungsgeschichten verlaufen wären, wenn wir im Geiste von Texten wie diesem erzogen worden wären. Wir würden mit weniger Angst leben, meine ich, näher an der Realität, würden uns weniger mit Ideen vom Leben nach dem Tod herumschlagen und wären mit dem Hier und Jetzt besser vertraut. Nun, so ist es nicht gelaufen. Zum Glück haben wir die Kalama-Sutta 5.

  1. Der Text, in Hexametern verfasst, ist im lateinischen Original und in deutscher Übersetzung zumindest teilweise im Internet zugänglich, z.B. unter: http://www.gottwein.de/Lat/lucr001_inh.php. Eine neue Prosaübersetzung von Klaus Binder ist 2014 erschienen. Unter http://www.textlog.de/lukrez-natur-dinge.html gibt es eine informative Einführung dazu
  2. Über diesen griechischen Philosophen und seine Lehre gibt es einen ausführlichen und informativen Eintrag in Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Epikur
  3. Darum geht es in Thomas McEvilleys umfangreichem Werk: The Shape of Ancient Thought, 2002; s. auch der Beitrag: Alles hängt zusammen auf diesem Blog
  4. Spannend und gut lesbar ist die Rezeptionsgeschichte von De rerum Natura erzählt in: Stephen Greenblatt, The Swerve, How the world became modern, 2011, dt.: Die Wende: Wie die Renaissance begann, 2012, auch als E-Book erhältlich
  5. das ist die berühmte Lehrrede des Buddha, an Laien gerichtet, in der er ermutigt, sich eigene Meinungen zu bilden. Eine deutsche Übersetzung findet sich auf: http://www.buddhayana-ev.de/inhalte/kalama-deu.htm

„Klassischer“ und säkularer Buddhismus
eine Diskussion

Der Theravada-Mönch Bhikkhu Bodhi, geboren in New York als Jeffrey Block, hat sich vor allem als Übersetzer aus dem Pali-Kanon einen Namen gemacht. Vor kurzem wurde sein Essay: „Facing the Great Divide“ auf unserer neuseeländischen Schwester-Website: http://secularbuddhism.org.nz/resources/documents/facing-the-great-divide/ abgedruckt. Daraufhin entstand eine Diskussion, zu der auch Stephen Batchelor einen Beitrag geliefert hat. Für alle, die das Lesen in englischer Sprache nicht scheuen, könnte das interessant sein. Besonders angesprochen hat mich der Beitrag von Bernat Font, der die spanische Website: http://budismosecular.org/ betreibt.

Über Muße
Variationen zum Thema: Berechnende und meditative Haltung

mann-einer-hängematte-14858409Ich liege in der Hängematte, schau in die Wolken und habe nichts zu tun. Es fehlt mir nichts. Es riecht nach blühendem Ginster und Föhrenzapfen, jeder Atemzug von Meeresluft fühlt sich an wie ein Geschenk. Meine Gedanken verfolge ich nicht, sie kommen und gehen. Auf Ergebnisse kommt es nicht an, Verwertbares wird nicht erwartet. Nichts zu tun ist erlaubt und wird auf einmal unverzichtbar. Griechische Philosophen meinten mit dem Wort σχολή neben „Studium“ auch „Ruhe“ und „Muße“; im Althochdeutschen bedeutete „muoza“ ursprünglich „Gelegenheit“, „Möglichkeit“. Friedrich_NietzscheFriedrich Nietzsche schrieb vor 140 Jahren 1:

Musse und Müssiggang …die athemlose Hast der Arbeit…beginnt…Europa wild zu machen und eine ganz wunderliche Geistlosigkeit darüber zu breiten. Man schämt sich jetzt schon der Ruhe; das lange Nachsinnen macht beinahe Gewissensbisse. Man denkt mit der Uhr in der Hand, wie man zu Mittag isst, das Auge auf das Börsenblatt gerichtet, – man lebt, wie Einer, der fortwährend Etwas „versäumen könnte“. „Lieber irgend Etwas thun, als Nichts“ – auch dieser Grundsatz ist eine Schnur, um aller Bildung und allem höheren Geschmack den Garaus zu machen. Und so wie sichtlich alle Formen an dieser Hast der Arbeitenden zu Grunde gehen: so geht auch das Gefühl für die Form selber, das Ohr und Auge für die Melodie der Bewegungen zu Grunde. Der Beweis dafür liegt in der jetzt überall geforderten plumpen Deutlichkeit, in allen den Lagen, wo der Mensch einmal redlich mit Menschen sein will, im Verkehre mit Freunden, Frauen, Verwandten, Kindern, Lehrern, Schülern, Führern und Fürsten, – man hat keine Zeit und keine Kraft mehr für die Ceremonien, für die Verbindlichkeit mit Umwegen, für allen Esprit der Unterhaltung und überhaupt für alles Otium. Denn das Leben auf der Jagd nach Gewinn zwingt fortwährend dazu, seinen Geist bis zur Erschöpfung auszugeben, im beständigen Sich-Verstellen oder Ueberlisten oder Zuvorkommen: die eigentliche Tugend ist jetzt, Etwas in weniger Zeit zu thun, als ein Anderer. Und so giebt es nur selten Stunden der erlaubten Redlichkeit: in diesen aber ist man müde und möchte sich nicht nur „gehen lassen“, sondern lang und breit und plump sich hinstrecken. Gemäss diesem Hange schreibt man jetzt seine Briefe; deren Stil und Geist immer das eigentliche „Zeichen der Zeit“ sein werden. Giebt es noch ein Vergnügen an Gesellschaft und an Künsten, so ist es ein Vergnügen, wie es müde-gearbeitete Sclaven sich zurecht machen. Oh über diese Genügsamkeit der „Freude“ bei unsern Gebildeten und Ungebildeten! Oh über diese zunehmende Verdächtigung aller Freude! Die Arbeit bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite: der Hang zur Freude nennt sich bereits „Bedürfniss der Erholung“ und fängt an, sich vor sich selber zu schämen. „Man ist es seiner Gesundheit schuldig“ – so redet man, wenn man auf einer Landpartie ertappt wird. Ja, es könnte bald so weit kommen, dass man einem Hange zur vita contemplativa (das heisst zum Spazierengehen mit Gedanken und Freunden) nicht ohne Selbstverachtung und schlechtes Gewissen nachgäbe. – Nun! Ehedem war es umgekehrt: die Arbeit hatte das schlechte Gewissen auf sich. Ein Mensch von guter Abkunft verbarg seine Arbeit, wenn die Noth ihn zum Arbeiten zwang. Der Sclave arbeitete unter dem Druck des Gefühls, dass er etwas Verächtliches thue: – das „Thun“ selber war etwas Verächtliches. „Die Vornehmheit und die Ehre sind allein bei otium und bellum“: so klang die Stimme des antiken Vorurtheils!

Am Thema Muße kommen wir heutzutage noch weniger vorbei. In einem klugen Essay weist der Philosoph Günter Figal auf die ursprüngliche Wortbedeutung hin 2. Er schreibt:

Muße haben, das heißt: in einem Spielraum oder Freiraum sein, in einem Raum, in dem sich das Tun ebenso frei, im Nebeneinander seiner Möglichkeiten, entfalten kann wie das, womit man es zu tun hat. Wo verschiedene Möglichkeiten nebeneinander offen bleiben, kann man sie erkunden, ohne sich auf eine von ihnen sofort festzulegen. Weil nichts unter Druck entschieden werden muss, kann eine Sache in der Fülle ihrer Möglichkeiten zur Geltung kommen…Dass die Muße in ihrem Wesen räumlich ist, zeigt sich noch auf andere Weise, nämlich mit den eigens für sie gebauten und eingerichteten Räumen. Akademien, Klöster, Eremitagen, Landsitze, Teehäuser und Gärten, Dichter- und Denkerhütten, Komponierhäuschen, Bäder, Cafés, Urlaubshotels sind Mußeorte, Mußeräume solcher Art. Ihre Einrichtung weicht in charakteristischer Weise von Bauten ab, die der Arbeit, dem effizienten Tun und damit dem Nutzen unterstellt sind. Fabriken, Bürogebäude, Behörden, Bahnhöfe und Flughäfen, auch Universitäten müssen die Tätigkeiten, die in ihnen ausgeübt werden sollen, so leicht machen wie nur möglich. Übersichtliche Gliederung, möglichst direkte Wege und ein gutes Orientierungssystem sind ebenso wichtig wie reibungslos funktionierende Transportanlagen. Mußeräume sind anders. Statt effizienter Tätigkeiten lassen sie zur Ruhe kommen. Sie bieten Möglichkeiten des Gesprächs, der ungestörten Lektüre. Und ermöglichen statt der erfolgsorientierten Konzentration die Besinnung und Sammlung. Bei alledem legen sie nicht fest; sie bieten Möglichkeiten, die man realisieren kann, aber nicht realisieren muss, und die auch als nicht realisierte den Aufenthalt in ihnen bestimmen.

strand calviAm Strand, an dem ich gerade sitze, kann ich zusehen, wie Menschen müßig werden. Sie lernen von ihren Kindern, Sandburgen zu bauen. Sie spielen, ohne Punkte zu zählen, sammeln Steine, die sie nicht brauchen, haben mit den Kleidern auch die Uhren abgelegt und schauen aufs Meer, ohne etwas zu suchen. Ich rücke in den Schatten und stecke die Zehen in den Sand. Und weil das Denken ja nie ganz aufhört, wie wir wissen, frage ich mich schließlich, was Muße und Meditation miteinander zu tun haben. Darüber schreibt die deutsche Buddhistin Sylvia Wetzel 3:

Wer nachdenken will braucht nicht nur Freizeit nach der Arbeit, um sich zu regenerieren, sondern Muße. Muße ist freie Zeit, in der wir wach und ausgeschlafen, frisch und munter sind. Dann können wir über uns und die Welt nachdenken. Wer im Laufschritt durch die Welt rennt, hat keine Chance eigene Muster zu erkennen. Wer zu wenig Zeit, wird sich auch mit erprobten Meditationstechniken nicht besser kennenlernen. Wer unter Druck steht und keine Zeit hat, kann und wird immer nur alte Ansichten, emotionale Muster und Gewohnheiten reproduzieren… Meditation lehrt aber nur dann Muße, wenn wir uns nicht mit komplexen Techniken um schnelle Resultate bemühen, sondern sie uns den Freiraum schenkt, in dem wir innehalten und unsere eingefahrenen Muster anschauen. Es braucht aber mehr als zehn Minuten stilles Sitzen am Tag. Kontemplativ leben, heißt Raum und Zeit schaffen, damit wir über unsere Prioritäten nachdenken und unsere Beziehung zu uns, den Mitmenschen und der Welt klären können.

Wenn Ihr die Muße dafür findet, schaut euch diese Website an: Otium Bremen.

  1. Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft 329, im Internet abrufbar unter: http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-frohliche-wissenschaft-3245/7
  2. An der Universität Freiburg läuft seit 2013 ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, dessen MitarbeiterInnen das Mussemagazin herausgeben: http://mussemagazin.de/
  3. s.: Connection Special: Der neue Mensch. Oktober-November 2003, S. 18-21, http://connectionshop.connection.de/Magazine/Tantra-Einzelhefte/connection-special-68.html

David Loy über persönliches Wachstum und soziale Gerechtigkeit:
die Welt braucht beides

In einer recht streng katholischen Familie bin ich aufgewachsen; im Alter von zwanzig Jahren habe ich mich in heftigen Widerspruch dazu gesetzt, mich wie so viele meiner Generation den „Achtundsechzigern“ angeschlossen und für viele Jahre – als Aktivistin der Friedensbewegung, der Bewegung für internationale Solidarität und anderer Initiativen – an den linken Rand des politischen Spektrums gestellt. Vor zwanzig Jahren habe ich mit Zen-Meditation begonnen und schließlich eine Art spiritueller Heimat in säkular-buddhistischem Denken gefunden. Einiges, was ich auf diesem Blog bisher geschrieben habe, drückt hoffentlich aus, dass es mir wichtig ist, in der Geschichte meines Lebens keine dieser Wurzeln für überflüssig zu halten und sie alle zu würdigen. David LoyEin Freund hat mich vor kurzem auf David Loy 1 aufmerksam gemacht. Mit Spannung und Freude habe ich in den letzten Tagen gelesen und gehört, wie er in seinem Denken mühelos Gedankengänge und Geistesströmungen zueinander in Beziehung bringt, die auf den ersten Blick unvereinbar scheinen. Fürs erste möchte ich den Vortrag „Buddhism and the West“ übersetzen, der in englischer Sprache auf Youtube zu hören ist 2.

Buddhismus hebt Unbeständigkeit und Substanzlosigkeit hervor. Demnach ist die Welt nicht eine Sammlung getrennter Dinge, die gelegentlich miteinander interagieren, sondern das Zusammenfließen von Prozessen, Ereignissen, die alle wieder von anderen Prozessen abhängen. Die interessante Frage für uns ist heute: Was bedeutet das für den Buddhismus selbst? Wie ändert er sich beim Zusammentreffen mit der modernen Welt? Wir können sehen, wie sich der Buddhismus in Asien entwickelt hat: wann immer er auf eine neue Kultur traf, ging es nicht um Konfrontation und Kampfansage, die lokalen Götter oder Religionen zu überwinden, sondern es gab immer Interaktion, eine Art von gemeinsamer Entwicklung. Für mich ist China hier das klassische Beispiel: als Mahayana nach China kam, trat es in Interaktion mit der dortigen taoistischen Religion – es gab eine Art von Synkretismus mit viel gegenseitiger Befruchtung, und daraus entstand Chan: Zenbuddhismus. Ein anderes Beispiel wäre natürlich: als der tantrische Buddhismus nach Tibet kam und mit der örtlichen Tradition interagierte, entstand daraus der tibetische Buddhismus. Nun, Buddhismus kommt nun in den Westen, oder besser: in die moderne Welt. Das heißt nicht, dass wir im Westen ihn uns aneignen. Was können wir als Ergebnis dieser Interaktion sehen? Ein Beispiel wäre natürlich der Dialog zwischen Buddhismus und Christentum, der schon sehr produktiv gewesen ist. Aber es gibt einen Bereich, wo Buddhismus vielleicht die bisher größten Auswirkungen hatte: nämlich in der Psychologie, vor allem im Westen. Es gibt ja nicht nur westliche Psychotherapeuten, die Praktizierende des Buddhismus sind, sondern viele von ihnen sind selber buddhistische Lehrer. Es gibt eine andere Interaktion, von der ich heute sprechen möchte, nämlich zwischen sozialem Engagement und Buddhismus. Buddhismus, der in die moderne Welt kommt, trifft dort auf eine Tradition: auf die der abrahamitischen Religionen. Deren Traditionen fokussieren stark auf soziale Veränderungen, in einer Weise, wie es der Buddhismus in Asien nicht konnte. Und es ist aufregend zu sehen, wie sich für die buddhistische Tradition neue Möglichkeiten ergaben, sobald sie diesen Alternativen ausgesetzt wurde – und darauf will ich mich hier konzentrieren. Als Einstieg möchte ich die Frage der Ethik aufwerfen: nicht in erster Linie die Inhalte wie die 5 Silas oder die 10 Gebote, sondern die unterschiedlichen Funktionen von Ethik in Judentum, Christentum und Islam einerseits und Buddhismus andererseits. Ich denke, dass es hier große Unterschiede gibt, die für die Frage sozialen Engagements wichtig sind. Gut und BöseIch halte die Dualität von Gut und Böse für das fundamentale Paradigma der abrahamitischen Religionen. Wir sprechen von ihnen üblicherweise als von ethischem Monotheismus, und konzentrieren uns dabei meist auf den Monotheismus, auf Gott. Aber ich möchte mir hier die Ethik ansehen: die Frage: was ist der Kern von Gottes Beziehung zu uns, wie kommuniziert er mit uns? Im Talmud, in der Bibel, im Koran geht es vor allem um moralische Verpflichtung. Gott sagt uns, dass wir uns auf bestimmte Weise verhalten sollen, und dass wir belohnt werden, wenn wir das tun, und bestraft, wenn nicht. Schon im Mythos von Adam und Eva geht es um Ungehorsam Gott gegenüber: von Anfang an ist von Sünde die Rede. Ein paar Kapitel später in der Erzählung von der Arche Noah werden Menschen bestraft, weil sie nicht nach Gottes Geboten leben. Später werden Moses die 10 Gebote übergeben, in denen uns gesagt wird, was wir tun sollen und was nicht. Wenn wir zu Jesus übergehen: er scheint eine persönlichere Beziehung mit Gott, seinem Vater, zu haben, aber wir wissen, dass Väter ziemlich streng sein können. Das ist die erste Sache, die ich herausstreichen will: moralische Verpflichtung als Kern der abrahamitischen Traditionen, zumindest nach ihrer Institutionalisierung. Vielleicht fragt ihr Euch, warum ich darauf soviel Wert lege, da doch viele Leute, wahrscheinlich auch in diesem Raum, an diese Traditionen nicht oder nicht mehr glauben? Auch wenn sich heute viele Menschen vom abrahamitischen Gott distanzieren, bleibt dies trotzdem das grundlegende Paradigma, die Brille für unsere Weltsicht. Denkt an die Geschichten, die wir so lieben, an Fernseh- und andere Filme: Harry Potter, Der Herr der Ringe, James Bond…was geschieht da? Wir lieben diese Geschichten: den Kampf zwischen Gut und Böse. Ich betone das nicht nur, weil wir diese Geschichten lieben, sondern weil wir sie weiterhin selbst inszenieren, und darin liegt gleichzeitig die Stärke und die Schwäche dieses Paradigmas. Aus einer buddhistischen Perspektive liegt das Problem mit dieser Geschichte von Gut und Böse darin, dass es ein Beispiel für dualistisches Denken sein kann und oft auch ist. Nach buddhistischer Tradition ist dualistisches Denken trügerisch und schafft Leiden. Wenn wir dualistisch denken, machen wir Unterscheidungen: wir wollen das eine und wollen das andere nicht. Nun ist es aber die Natur dualistischen Denkens, dass du das eine ohne das andere nicht haben kannst. Die Bedeutung des einen ist die Negation des anderen, unabhängig voneinander haben sie keine Bedeutung. Es geht dann nicht um zwei getrennte Konzepte, sondern um zwei Seiten desselben Konzepts. Das ist kein bloß philosophisches Problem: nimm an, du willst ein „reines“ Leben führen. Wenn Dir das wirklich wichtig ist, wirst du dich intensiv mit „Unreinheit“ beschäftigen. „Reinheit“hat nur Bedeutung in Beziehung zu „Unreinheit“ und umgekehrt. Das deutlichste Beispiel für uns hier ist die Dualität zwischen Gut und Böse. Menschen, die wir als „gut“ bezeichnen, nennen wir so, weil sie das Böse bekämpfen. Denkt an James Bond: wie können wir wissen, dass er ein Guter ist? Weil er die Bösen bekämpft. Ich habe vorher gesagt, dass wir ähnliches selbst weiter inszenieren. Ein recht neues und tragisches Beispiel dafür wäre der Krieg gegen den Terror. Was war der Unterschied zwischen Osama bin Laden und George W. Bush? Waren sie nicht einfach Abbilder voneinander? Sie haben beide denselben heiligen Krieg gekämpft – des Guten gegen das Böse. Jeder von ihnen glaubte, er hätte – als ein Guter – die Verantwortung, die Bösen zu bekämpfen und zu zerstören. Das zeigt uns klar, worin das Problem mit dieser Dualität liegt. Die letzten zehn Jahre mit unglaublichem Leid, einer riesigen Menge von Toten, die Tatsache, dass in den USA nicht nur Menschen gefoltert werden, sondern dass das auch in gewisser Weise akzeptiert wird, haben dazu geführt, dass heute mehr Menschen auf der Welt als vor 10 Jahren die Vereinigten Staaten hassen wegen der Art, wie sie auf die Angriffe auf die Twin Towers reagiert haben. Das ist das tragische Paradox der Dualität von Gut und Böse. Eine der fundamentalsten Ursachen für das Böse in der Welt sind unsere Versuche, es zu zerstören. Denkt auch an das Beispiel Hitlers: was hat er versucht, als er so viele jüdische Menschen, Homosexuelle, Roma und andere getötet hat? Er wollte die Welt für die arische Rasse vom „Pack“ reinigen. Was hat Stalin getan, als er so viele Kulaken umbrachte – er hielt es für notwendig für seine Idee kollektiver Landwirtschaft. Denkt an Mao Tse Tung, der in China ganz Ähnliches mit Grundbesitzern getan hat, um eine „reine“ Welt zu schaffen – was die Grundidee von Revolution ist. Auch wenn wir diese Menschen als säkular bezeichnen, wenn keiner von ihnen sich einen Christen genannt hätte, liegt dennoch dieselbe christliche Dualität in dem, was sie erreichen wollten. Das zeigt uns die problematische Seite dieser dualistischen Sichtweise. Ich möchte aber auch herausstreichen, was daran so wichtig ist, die positive andere Seite. Das geht bis auf die hebräischen Propheten zurück, denen es um soziale Gerechtigkeit ging. Sie haben nicht nur die Menschen für abweichendes Handeln kritisiert, sondern sie haben die Herrschenden dafür kritisiert, dass sie Untertanen ausgebeutet, Waisen und Witwen schlecht behandelt haben. Propheten wie Amos und Isaias gingen herum und sagten: Ihr handelt böse und ihr werdet von Gott dafür bestraft werden. Die Sorge um soziale Gerechtigkeit, die wir zumindest in der westlichen Tradition kennen, geht auf die hebräischen Propheten zurück. Um die Entstehung der modernen Welt nachzuvollziehen, müssen wir das noch mit der griechischen Tradition in der Frühzeit der Demokratie in Athen verknüpfen. Ich sehe das so: den Hebräern ging es um soziale Gerechtigkeit und die griechischen Demokraten fügten hinzu, dass wir die Gesellschaft verändern können. Wir nehmen das heute für selbstverständlich und können kaum mehr wertschätzen, was für eine revolutionäre Einsicht das war. Griechen dachten als erste diesen Unterschied zwischen der natürlichen Welt und der menschlichen Gesellschaft. Der entscheidende Unterschied ist: wir können die Gesellschaft ändern, und das ist uns heute sehr vertraut. Aber dieses Verständnis herrschte in alten Gesellschaften noch nicht. Wenn wir zu vorgriechischen Gesellschaften zurückgehen, in Mesopotamien oder bei den frühen Mayas: sehr verallgemeinert gesagt: es gab noch kein Bewusstsein dafür, dass Gesellschaft etwas anderes ist als Ökosysteme. Sie nahmen ihre gesellschaftliche Situation als selbstverständlich hin, ähnlich wie die Naturbedingungen, unter denen sie lebten. Platon hingegen entwirft in „Der Staat“ eine neue Gesellschaft. Wir sind mittlerweile mit vielen anderen Entwürfen vertraut, aber im Kontext dieser Zeit war das ziemlich revolutionär. Wohin führt diese ursprüngliche Idee der Griechen, dass Gesellschaft verändert werden kann? Sie führt zu sozialen Revolutionen, zur Französischen, zur Russischen Revolution, zu den Menschenrechten, zur „Bill of Rights“, zu Kampagnen gegen die Sklaverei, zu Frauenrechten, zu den Rechten Homosexueller – diese Idee, dass wir unsere Gesellschaft neu strukturieren können, um sie zu verbessern. Und das ist fundamental für das, was westliche Tradition erreicht hat, eines der Dinge, auf die wir stolz sein und die wir besonders wertschätzen sollten. Ich habe also das Problem mit der westlichen Tradition herausgearbeitet, und auch seine Stärke. Ich möchte nun einen Schritt weitergehen und noch ein Problem aufzeigen, das sich aus diesem Verständnis, dass wir die Gesellschaft verändern können, ergibt. Warum geschieht es so oft, dass sich trotz unserer besten Absichten die Dinge nicht gut entwickeln? Warum geschieht es, dass eine Truppe von Gaunern durch eine andere ersetzt wird? Vielleicht kann uns Buddhismus helfen, das zu verstehen. Wenn sie sich nur auf die soziale Struktur konzentrieren und nicht auf persönliche Veränderung achten, haben Revolutionäre, die die Macht übernommen haben, weiter ihre Egos – sie haben nicht an sich selbst gearbeitet und verstehen ihre eigenen Motive nicht notwendigerweise. Wenn ich nicht an meiner Gier, meiner Böswilligkeit, meiner Ichsucht gearbeitet habe: was wird geschehen, wenn ich in eine mächtige Position gekommen bin? Es wird mir sehr schwer fallen, nicht persönlichen Vorteil daraus zu ziehen. Wenn ich mir meiner eigenen Aggression nicht bewusst bin, wie kann ich damit umgehen, kritisiert zu werden? Wenn ich mit meinem Ego nicht umgehen kann, habe ich eine natürliche Tendenz, der Situation meinen Willen aufzuprägen. Und das gilt, denke ich, nicht nur für revolutionäre Anführer, sondern für uns alle. Demokratie für sich ist ein starkes Werkzeug, aber sie garantiert nichts. Wer in einer demokratischen Gesellschaft lebt, ist noch immer von seiner eigenen Gier, seiner Aggression und Verblendung motiviert. Es lässt sich keine soziale Struktur schaffen, die so perfekt ist, dass Menschen sich nicht darum bemühen müssten, gut zu handeln. Und daran arbeiten wir uns weiterhin ab. Es hat so viele Umstürze, so viele Revolutionen gegeben, und wir haben es noch immer nicht so gut hingebracht, wie wir könnten. Es geht nicht, ohne dass wir an unserer persönlichen Veränderung arbeiten. Ich möchte jetzt die andere Seite betrachten: den Buddhismus. Wie ich schon sagte: natürlich gibt es Moral im Buddhismus, aber sie funktioniert anders. Wir wissen, dass die 5 Silas des Buddhismus im Alltag eine wichtige Rolle spielen. Aber wir werden sie missverstehen, wenn wir auf „abrahamitische“ Weise an sie herangehen, weil es im Buddhismus keinen Gott gibt, der uns sagt, wie wir uns verhalten sollen. Das Wesen der 5 Silas ist: wenn wir nach ihnen leben, wird sich unser Leben ändern. Die Art, wie wir uns selbst und andere Menschen erfahren und die Art, wie sie sich uns gegenüber verhalten, wird sich ändern. Die 5 Silas sind nicht Gebote, sondern Achtsamkeitsübungen. Aber: in der buddhistischen Tradition sind die Silas nicht das Wichtigste. Wenn wir eine Art von Dualität herausfiltern wollen, ist es die von Verblendung und Weisheit, oder von Ignoranz und Erwachen. Hier legt das Grundproblem, das gelöst werden muss. In der Brahmajala Sutta spricht Buddha zweimal von „Kleinigkeiten, Dinge von geringem Wert, bloße Moral…“ im Gegensatz zu anderen Dingen, die „schwer zu begreifen sind, verständlich nur für Weise…“ Das zentrale Thema beim Buddhismus ist also nicht Ethik, sondern Verstehen, wobei das nicht in bloß intellektuellem Sinn gemeint ist, sondern viel tiefer. Im Buddhismus ist das höchste Ziel, zu erwachen. Und wenn wir uns dem zuwenden, verschwindet die Idee eines außen liegenden moralischen Codes. Aus der Perspektive des Erwachens zeigt sich, dass die 5 Silas den Stützrädern beim Erlernen des Radfahrens ähneln – wenn du radfahren kannst, kannst du sie wegnehmen, du brauchst sie nicht mehr. Wenn du erwacht bist, hast du keine Tendenz, den Silas zuwiderzuhandeln, weil du deine wahre Natur erkannt hast. Wir nehmen andere Menschen dann nicht als außenstehend wahr, sondern als Aspekte von uns selbst. Wie passt da der Schwerpunkt der abrahamitischen Religionen dazu? Darum geht es: gar nicht. Buddhismus spricht nicht über soziale Gerechtigkeit. Am nächsten kommt noch der Begriff „Karma“. Aber im üblichen Verständnis ist Karma in die Struktur des Kosmos eingewebt, wir brauchen uns darüber nicht den Kopf zu zerbrechen. Anstelle von Gerechtigkeit, anstelle von Gut und Böse geht es im Buddhismus um Dukkha. Leid im weitesten Sinn: Unzufriedenheit – die Unfähigkeit, für lange Zeit glücklich zu leben.dukkha

Eine interessante historische Frage dabei ist: geht es bei der Art von Dukkha, von der Buddha sprach, nur darum, wie wir persönlich die Welt erleben, oder auch um Dukkha in sozialen Strukturen, um „institutionalisiertes“ Dukkha? Wir kennen Buddhas Weltsicht nicht. Wir wissen allerdings, was im Zuge der Institutionalisierung des Buddhismus geschah. Bald nach Buddhas Tod wurde seine Lehre institutionalisiert, Klöster wurden sehr wichtig, die Mönche ließen sich dort nieder, und der Buddhismus musste sich mit dem Staat, mit den Herrschenden arrangieren. Damit der Buddhismus in asiatischen Gesellschaften – die alle nicht demokratisch waren – überleben und gedeihen konnte, brauchte er Unterstützung oder zumindest Toleranz der Könige. Wenn diesen nicht gefiel, was in den Klöstern geschah, konnten sie sie zerstören, und manchmal taten sie das. Da es keine demokratischen Verhältnisse gab, hatte der Buddhismus nie die Gelegenheit, ein weiteres Verständnis von Dukkha zu entwickeln. Er lernte nicht, sich mit dem Dukkha, das Herrschende für Armen schufen, indem sie sie ausbeuteten, auseinanderzusetzen. Damit der Buddhismus in den Klöstern überleben konnte, musste er die Herrschenden unterstützen. Und unglücklicherweise war das durch eine mißbräuchliche Interpretation des Begriffs „Karma“ leicht möglich: Der König, reich und mächtig, muss, um als Prinz wiedergeboren zu werden, während seines Lebens sehr gutes Karma gehabt haben. Und die armen Leute, oder auch die Frauen: du hattest offenkundig sehr schlechtes Karma in einem früheren Leben. Aber gib niemand anderem die Schuld, verhalte dich wohl, dann hast du vielleicht eine Chance auf eine höhere Wiedergeburt. Ich übertreibe hier, aber nur ein wenig. Leider legte die Lehre vom Karma eine solche Fehlinterpretation nahe. Ich sage nicht, dass Buddha so gesprochen hat – es gibt Stellen im Palikanon, die deutlich machen, dass er das nicht getan hat – dennoch entwickelte sich diese Interpretation mit der Institutionalisierung des Buddhismus. Was ich sagen will: unabhängig davon, welche Vision Buddha gehabt haben mag, mit der Institutionalisierung fokussierte sich Buddhismus auf individuelles Dukkha, auf unsere persönliche Art zu denken, zu leiden. Und so entwickelte der Buddhismus diese großartige Sammlung meditativer und kontemplativer Praxis, die uns hilft, persönlich zu erwachen und unser individuelles Dukkha zu überwinden. Die Konsequenz ist natürlich, dass der Buddhismus in Asien keinen politischen Nachdruck hatte, er konnte Autoritäten nicht in Frage stellen. Westliche Tradition hat sich also auf soziale Veränderung und die Veränderung von Institutionen konzentriert. So wichtig das auch war, können wir auch die Beschränktheit sehen: wegen der Probleme mit dem individuellem Ego kann das nicht vollständig wirken. Gier, Böswilligkeit und Ichbezogenheit kommen immer wieder in die Quere, wenn wir die Bedeutung persönlicher Veränderung nicht anerkennen. Auf der anderen Seite: in den asiatischen Gesellschaften, von denen keine demokratisch war, hat Buddhismus diese wunderbare Palette meditativer Praxis und Lehren entwickelt, die uns helfen, unser Ego – Gier, Böswilligkeit und Verblendung – zu überwinden und zu erwachen, hatte aber wegen der beschränkten politischen Umstände nichts über institutionalisiertes Dukkha zu sagen. Erst in unserer Zeit – und ich denke, es ist nicht zu früh, denn wir leben in einer tiefen Krise der modernen Welt – können wir versuchen, diese beiden Paradigmata zusammenzubringen. Buddhismus hat eine besondere Weltsicht, die bietet, was dem Westen fehlt. Und gleichzeitig bietet die westliche Tradition Möglichkeiten sozialer Transformation, die im Buddhismus nicht entwickelt werden konnten. Und das Aufeinandertreffen der beiden in unserer Zeit der Krise halte ich für wirklich aufregend. Es geht nicht darum, einen der Wege zu wählen, beide sind wichtig im Zusammenspiel. Jeder hat anzubieten, was dem anderen fehlt. All das lässt sich im Begriff „Freiheit“ zusammenfassen: der Schwerpunkt westlicher Tradition lag auf institutionalisierter Freiheit: soziale, ökonomische, politische Freiheit, während es der asiatischen Tradition um das Erreichen psychologischer oder spiritueller Freiheit ging. Erst heute können wir die Beschränkungen beider Wege sehen, wenn sie für sich allein verfolgt werden. Wir müssen sie zusammenbringen. Ich möchte ein paar Beispiele geben, wie die beiden zusammenspielen können, und zwar mit einem Blick auf unsere ökonomische Situation. Die buddhistische Perspektive bietet uns eine neue Art, diese zu verstehen. Sie soll den westlichen Blick auf soziale Gerechtigkeit nicht verstellen, aber neue Einsichten bieten, die uns helfen, oberflächliche Lösungen zu vermeiden, die langfristig das Problem nicht lösen werden. Ich meine zum ersten das, was ich für die fundamentale Lehre Buddhas halte: die Verknüpfung zwischen Dukkha und der Empfindung des „Selbst“. Auch dank westlicher Psychologie können wir heute sagen: das „Selbst“ ist ein psychologisches und soziales Konstrukt. Die interessante Frage aus buddhistischer Perspektive ist: warum ist dieses „Selbst“ so sehr von Dukkha durchsetzt? Nun, woraus besteht die Empfindung des „Selbst“? Aus vorwiegend gewohnheitsmäßigen Formen des Denkens, Fühlens, Handelns, Reagierens, Erinnerns, Planens… in der Art, wie diese zusammenspielen, erzeugen sie die Empfindung eines Selbst. Das spielt sich „innen“ ab, und das Problem liegt darin, dass alles, was „außen“ liegt, als getrennt von mir, als anders als ich wahrgenommen wird. Hier entsteht eine Dualität, von der Buddha sagt, dass sie zu Verblendung führt. Und warum? Die Empfindung des „Selbst“ ist ein Prozess, kein Ding, sie hat keine Realität und es gibt auch nichts, was daran real werden könnte. Die Empfindung des „Selbst“ ist nicht nur grund-los, sie kann auch nicht ge-gründet werden, und ist daher von Natur aus unsicher. Solange ich der Verblendung unterliege, es gäbe ein getrenntes „Selbst“, kann ich nicht wissen, worin es besteht, und ich kann es nicht absichern. Die Empfindung des „Selbst“, das nicht abgesichert werden kann, ist immer überschattet von einer Empfindung des Mangels: irgendetwas stimmt nicht mit mir. Und buddhistische Lehre sagt: wir missverstehen das Problem, wir glauben der Mangel liege irgendwo außerhalb: ich habe nicht genug Geld, oder ich bin nicht mächtig genug. Wir neigen dazu, zu glauben, wenn wir nur genug von etwas hätten, was außerhalb von uns liegt, wäre es okay. Und Buddhismus sagt natürlich: nein, das ist ein totales Mißverständnis, es hat damit zu tun, dass wir zu unserer Natur erwachen müssen, der Leere der Empfindung des Selbst, der Leere der Illusion, es gäbe ein „Ich“ hier drinnen, das zu euch allen da draußen schaut. Was hat das mit Ökonomie zu tun? Wir haben ein ökonomisches System, das mit dieser Illusion spielt. Ein ökonomisches System, das mit den Mitteln der Werbung und mit dem Modell ökonomischen Wachstums arbeitet. Was ist unser Problem? Wir haben nicht genug Geld. Egal, wieviel Geld du hast – du brauchst mehr, du brauchst mehr Konsum-Spielzeuge. Aus buddhistischer Perspektive können wir noch ein ganz anderes Problem mit dem ökonomischen System wahrnehmen: es ist nicht nur sozial ungerecht, sondern es macht Jagd auf unserer Verblendung, es lässt uns denken: das nächste Ding, das wir kaufen werden, wird uns glücklich machen. Wir sollen uns als Menschen verstehen, die Geld machen und konsumieren. Dieser fundamentale Mangel, den wir empfinden und den der Buddhismus als Illusion identifiziert, passt leider perfekt zum ökonomischen System. Erinnert euch: ich spreche hier nicht über Gut und Böse, und nicht über soziale Gerechtigkeit. Ich leugne diese Dimension nicht, aber Buddhismus hat hier eine ganz andere Perspektive zu bieten. Jetzt möchte ich noch die institutionalisierte Seite ansehen. Es stellt sich die interessante Frage: in welchem Verhältnis steht das, was ich über die individuelle Seite gesagt habe, zu ökonomischen Institutionen? Interessanterweise hat der Buddha sehr wenig über das Böse per se gesagt, aber er sagte viel über das, was die drei Feuer oder die drei Gifte genannt wird, die drei Wurzeln des Übels, also Gier, Aggression und Verblendung. Buddha konzentrierte sich auf die Motive unseres Handelns. Er zeigte auf – und es sieht so selbstverständlich aus, aber es ist revolutionär: wenn du dein Leben verändern willst, wenn du die Welt und die Art, wie Menschen auf dich reagieren, anders erfahren willst, dann gibt es eine einfache Methode dafür, einfach, aber nicht notwendigerweise leicht: verändere deine Motive. Und das ist die Art, wie Buddha Karma interpretiert: wenn du dich nicht von Gier, Hass und Verblendung leiten läßt, wird das dein Leben verändern. Was sind die wichtigsten Teile des Konstrukts „Selbst“ bei der Interaktion mit anderen? Motive. Lassen wir uns durch Gier, Böswilligkeit und Ichsucht motivieren oder durch Großzügigkeit, liebende Güte und Weisheit? Buddha sagt: das macht enormen Unterschied, und es wird dein Leben verändern. Zurück zu Gier, Böswilligkeit und Ichsucht: heute gibt es so viel mehr an Technologien, soviel mehr an Wissenschaft, aber auch um vieles mächtigere Institutionen. Mit Institution meine ich hier eine soziale Struktur, die ein eigenes Leben annimmt, mit ihren eigenen Motiven, sodass sie schließlich unsere Motive für ihre Ziele verwendet. Buddha hat mit so etwas nicht viel zu tun – legalisierte Institutionen waren in seiner Zeit nicht stark. Wie ist das gemeint, dass Institutionen ihre eigenen Motive entwickeln? Denkt an den CEO eines großen transnationalen Konzerns. Nehmt an, dieser Mann beginnt, sich große Sorgen um den Klimawandel zu machen und möchte tun, was er zur Lösung des Problems der Erderwärmung tun kann. Wenn das, was er dafür tut, den Profit seines Konzerns irgendwie in Frage stellt, dann bekommt er Probleme und wird wahrscheinlich seinen Job verlieren. Konzerne sind so konstruiert, dass sie vor allem den Aktionären verantwortlich sind, und wenn ein CEO etwas tut, was deren Profite in Frage stellt, werden die Aktionäre über den Aufsichtsrat darauf reagieren. Wenn das für den CEO an der Spitze der Hierarchie zutrifft, um wieviel mehr für jeden anderen Mitarbeiter, der ihm unterstellt ist. Durch die Art, wie ein Konzern rechtlich strukturiert ist, werden die Spielregeln festgelegt, die die Investoren zufriedenstellen sollen, und daher sind die Möglichkeiten, nach deinen eigenen Motiven zu handeln, sehr beschränkt, wenn sie nicht zu den Motiven der Struktur passen. Ich spreche deswegen so viel über Institutionen, weil ich denke, dass wir ein neues Problem haben, das sich dem Buddha nicht stellte: die drei Feuer sind institutionalisiert worden. Aus buddhistischer Perspektive würde ich sagen: unser Wirtschaftssystem ist institutionalisierte Gier, unser militärisches System ist institutionalisierte Gewalt und unsere Medien, zum Teil auch unser Bildungssystem sind institutionalierte Verblendung. Medienkonzerne legen fest, worüber wir informiert werden, was wir wissen, und ihnen geht es um den Profit durch Werbung. Wir sollen konsumieren, nicht informiert werden. Wenn es stimmt, dass Gier, Aggression und Verblendung auf diese Weise institutionalisiert worden sind, und wenn Buddha recht hatte, dass diese drei die Wurzeln des Bösen sind, dann sind wir in einer beängstigenden Lage. Buddhismus weist auf eigene Weise auf das Wesen von Institutionen hin und wie sie funktionieren. Ich möchte mit ein paar Worten darüber schließen, wie Gier institutionalisiert worden ist. Was ist Gier? Eine Definition ist: du hast nie genug. Ich denke, das gilt nicht nur auf persönlicher, sondern auch auf institutioneller Ebene. Es gehört zur Natur von Konzernen, dass sie nie groß genug sein können. Du kannst nie zuviel Profit haben, dein Marktanteil kann nie groß genug sein. Wir können uns gar nicht vorstellen, was groß genug wäre – das Konzept passt hier einfach nicht. Stellt euch die Börse vor. Aus buddhistischer Perspektive könnte man sagen: in bezug auf Verantwortlichkeit funktioniert sie wie ein amoralisches Schwarzes Loch. Auf der einen Seite gibt es die Investoren, Millionen von ihnen, die durch Investitionen Profit machen wollen – das ist alles, woran sie interessiert sind und sein müssen. Diese Menschen sind natürlich nicht böse. Investieren – das macht man einfach, wenn man Geld übrig hat. Schaut euch jetzt die andere Seite dieses Schwarzen Lochs an: da wird ein nicht nachlassender anonymer Druck für Wachstum und steigende Profite erzeugt. Nochmals: es geht hier nicht um böse Menschen – so funktioniert einfach das System, in dem bestimmte Arten von Motiven eingebaut sind, die unsere Motive für seine eigenen Absichten nützen. Die Globalisierung der Profitmaximierung bedeutet, dass die Maschine des Mehr und Mehr in allen ökonomischen Aktivitäten auf der Welt überhand nimmt. Daneben gibt es nur mehr „externe Effekte“ wie Umweltzerstörung, soziale Konsequenzen bei Produktion in „Billiglohnländern“ und auch der Druck auf uns alle, uns nur mehr als Produzenten und vor allem als Konsumenten zu verstehen. Wer ist für diesen institutionalisierten Druck verantwortlich? Das System hat sein eigenes Leben entwickelt. Niemand persönlich ist verantwortlich, jede/jeder ist verantwortlich. Aber die Verantwortlichkeit diffundiert auf anonyme Weise, wir fühlen sie nicht. Wir sind alle einbezogen in dieses System und spielen verschiedene Rollen darin, als Arbeitnehmer, als Unternehmer, als Konsumenten, Investoren, Pensionisten…, aber mit wenig Verständnis für unsere persönliche Verantwortlichkeit für das, was die Totalität des Systems tut. Der ökonomische Prozess hat sich in seiner Anonymität verselbständigt. Wir tun alle nur unseren Job. Zusammenfassend: eine buddhistische Perspektive bietet eine andere Form von Kritik. Es geht nicht in erster Linie um Gut und Böse. Es geht um Dukkha und dessen Verbindung mit der irreführenden Vorstellung von „Selbst“. Die buddhistische Betonung von Gier als der ersten der drei Wurzeln von Dukkha impliziert: wenn Gier institutionalisiert wird, dann untergräbt sie, worum es in jedem guten Wirtschaftssystem gehen sollte: menschliches Glück. Das gegenwärtige Wirtschaftssystem wirkt gegen Wohlbefinden der Menschen und Gedeihen der Biosphäre. Wir sehen das nicht nur aus der traditionellen westlichen Perspektive sozialer Gerechtigkeit, sondern auch aus buddhistischer Perspektive. Die eine Perspektive widerspricht der anderen nicht. Beide zusammen sind wichtig. Was die buddhistische Perspektive so wichtig macht: wenn wir nur an soziale Gerechtigkeit und Umverteilung denken, könnten wir das sogar erreichen, etwa durch Vergrößerung des Mittelstands, aber aus buddhistischer Perspektive löst Konsumdenken das grundlegende Problem nicht. Wir alle müssen uns der Aufgabe, persönlich zu wachsen, noch ernsthafter stellen. Ein perfektes Wirtschaftssystem wird es nicht geben; die Empfindung des Mangels bleibt. Menschen werden immer auch an sich selbst arbeiten müssen. Hier wird ein bestimmtes Verständnis von Buddhismus in Frage gestellt. Es reicht nicht aus, sich auf seine eigene Praxis, sein eigenes Erwachen zu konzentrieren. Lass mich allein, wenn ich erleuchtet bin, kann ich mich um anderes kümmern: diese dualistische Denkweise ist keine Lösung. Das heißt nicht, dass wir nicht Zeit für unsere persönliche Praxis verwenden sollten, aber die Idee, ich könnte mein eigenes Wohlergehen getrennt vom Wohlergehen aller anderen fördern: darin liegt die grundlegende Verblendung. Die große Einsicht des Buddhismus ist, dass wir das nicht tun können, da wir alle Teil voneinander sind. Wenn ich beginne, aufzuwachen und mein eigenes Dukkha zu überwinden, stelle ich fest, dass das Dukkha der anderen auch meines ist, und es wird mir auch bewusster, wie Dukkha nicht nur persönlich ist, sondern auch in Institutionen strukturiert, und hier liegt der Sprung, den der moderne Buddhismus machen muss.

  1. Näheres über diesen US-amerikanischen Religionswissenschafter, Autor und Zen-Meister findet sich auf seiner Website: http://www.davidloy.org/
  2. https://www.youtube.com/user/davidloyofficial . Die Übersetzung ist mit Davids Zustimmung leicht gekürzt.

…wie ein Holzklotz

Wenn das Herz sich als erregt erweist, als spöttisch, überheblich, anklagend, gehässig, arglistig,  lobhungrig, verächtlich, grob, zänkisch, dann gilt es unbeweglich zu verharren wie ein Holzklotz.

Gut Freund

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Wenn leblose Dinge lieben, wenn Erde und Wasser Freunde von Feinden unterscheiden können, möchte ich gern ihre Liebe besitzen. Ich möchte gerne, dass die grüne Erde meine Schritte nicht als eine schwere Bürde empfände. Und ich möchte, dass die Woge, deren blanken Spiegel meine Ruder zerschlagen, dieselbe Geduld mit mir hätte, die eine Mutter mit einem lebhaften, eifrigen Kind hat, das auf ihren Schoß klettert, ohne acht darauf zu haben, dass es ihr das seidene Sonntagskleid zerknittert. Mit der klaren Luft, die über den blauen Bergen zittert, mit derglänzendenSonne und mit den schönen Sternen, mit allen möchte ich gut Freund sein.