Mit.Gefühl beim Essen

Wir essen mehrmals täglich. Das eine Mal spüren und genießen wir jeden Bissen langsam und bewusst, ein anderes Mal schlingen wir hastig und unaufmerksam. Wir essen Äpfel und Müsli, Popcorn oder Broccoli, Pasta, Spinat oder Schokoriegel, Würstel, Reis, Bananen und Walnüsse. Wir essen an schön gedeckten Tischen mit unseren Freundinnen und Freunden oder im Stehen an einem Imbissstand. Manchmal essen wir zu wenig und öfter zu viel. Nachher fühlen wir uns vielleicht wohl und rundum satt, gelegentlich aber überfüllt und von Blähungen geplagt. Einmal wählen wir das Essen so, dass es im Einklang mit dem steht, was uns wichtig ist, ein anderes Mal denken wir gar nicht daran, und manchmal müssen wir uns im Nachhinein sagen: das hätte ich besser stehen lassen.

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Essen ist eine schwierige Sache. Vor jeder Mahlzeit – auch wenn sie fertig vor uns hingestellt wird – sind Entscheidungen zu treffen: Wie viel esse ich? Wie schnell? Esse ich das überhaupt, oder nur Teile davon? Und es gibt kaum einen Bereich im Alltagsleben, wo man bei sich selbst und seinen Mitmenschen auf so viele Überzeugungen und unverrückbare Standpunkte stoßen kann wie hier. Lacto-, Ovo- und sonstige Vegetarier, Veganer, Frutarier, Karnivoren, Pescetarier, Flexetarier – all diese Ausdrücke stehen bei manchen Menschen für nicht mehr und nicht weniger als für ihre Weltanschauung, und die Aussagen ihrer Anhänger für Glaubenssätze. Mit der Lebensform von Buddhistinnen und Buddhisten wird meist assoziiert, sie ernährten sich vegetarisch oder sollten das zumindest tun. Als säkulare Buddhistin, Glaubenssätzen gegenüber kritisch distanziert, möchte ich über diese Frage nachdenken.

Siddharta Gotama ernährte sich von pflanzlicher Nahrung und empfahl seinen Anhängern, Mönchen wie Laien, dasselbe. Er sprach von einer Ausnahme: wenn Mönchen Fleisch angeboten würde, sollten sie es unter der Bedingung annehmen und essen, dass das Tier nicht eigens für sie getötet worden sei. Diese Einschränkung zeigt, wie Buddha in seinem Denken von konkreten Lebenssituationen ausging und abhängig von deren Bedingungen angemessene Reaktionen empfahl. In der Metta-Sutta sagt er1:

Was es auch an lebenden Wesen gibt: Ob stark oder schwach, ob groß oder klein, ob sichtbar oder unsichtbar, fern oder nah, geworden oder werdend – mögen sie alle glücklich sein… Wie eine Mutter mit ihrem Leben ihr einzig Kind beschützt und behütet, so möge man für alle Wesen und die ganze Welt ein unbegrenzt gütiges Gemüt erwecken: ohne Hass, ohne Feindschaft, ohne Beschränkung, nach oben, nach unten, nach allen Seiten.

Und die erste der 5 Silas, der später entstandenen buddhistischen Lebensregeln, lautet:

Ich gelobe, mich darin zu üben, kein Lebewesen zu töten oder zu verletzen.

Was kann das für unsere Gegenwart bedeuten? Es gibt ein schönes Interview mit Gerhard Weisgrab, dem Präsidenten der Österreichischen Buddhistischen Gesellschaft, mit dem Titel: Darum sind nicht alle Buddhisten Vegetarier 2. Weisgrab weist darauf hin, dass im Buddhismus der Unterschied zwischen Tier und Mensch im Vergleich mit anderen Religionen für geringer gehalten werde: der Mensch werde nicht als die Krone der Schöpfung gesehen mit dem Auftrag, sich die Erde untertan zu machen 3. Mensch und Tier seien sich auch deshalb näher als in anderen Religionen, weil keinem von beiden eine Seele, also ein unveränderlicher Wesenskern, zugesprochen werde. Mitgefühl mit allen fühlenden Wesen sei von zentraler Bedeutung für Buddhistinnen und Buddhisten, es solle unser Handeln in allen Bereichen – also auch in unserem Essverhalten – durchdringen und bestimmen. Da Buddhismus aber auf Eigenverantwortung beruhe und keine Dogmen kenne, existierten auch keine allgemein verbindlichen Speiseregeln. So ist also jede einzelne von uns aufgerufen, selber darüber zu entscheiden, was sie essen will, und das – zumindest für sich selber – zu begründen. Das will ich versuchen. …für alle Wesen und die ganze Welt ein unbegrenzt gütiges Gemüt zu erwecken… lautet unser Auftrag. Für alle Wesen: also außer für uns Menschen für alle Tiere und Pflanzen. Dokus von Hühnern in Mastkäfigen, von Gänsen, die gestopft werden und von Schweinen, die sich aus Raumnot gegenseitig anfressen, erschüttern. Das Fleisch von Tieren, die solches durchgemacht haben, ist wahrlich ungenießbar. Unser Mitgefühl soll auch den Pflanzen gelten. Sie haben Stoffwechsel, bewegen sich, vermehren sich und reagieren in vielfältiger Form auf Reize. Ein Sonnenblumenfeld im Sommer, wo die Blüten sich mit dem Stand der Sonne drehen, ist ein schönes Beispiel dafür 4.

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Von dem Satz ausgehend, dass der Mensch nicht die Krone der Schöpfung sei, kann ich nicht sehen, warum mir Tiere näher stehen sollten als Pflanzen. (Sie tuns auch nicht. Der Anblick eines stattlichen Baumes geht mir persönlich eher nahe als der eines hübschen Kätzchens.) Jedenfalls: Hierarchisierung von MItgefühl verschiedenen Lebewesen gegenüber – das stimmt für mich nicht. Ein großer Teil der Lebensmittel, die uns heute – typischerweise im Supermarkt – angeboten werden, stammt nicht aus artgerechter Haltung, und zwar unabhängig davon, ob es sich um pflanzliche oder tierische Nahrung handelt. Das Prinzip industrieller Produktion ist in Legebatterien oder Schweinemastbetrieben dasselbe wie in riesigen Monokulturen von Mais oder Getreide mit all ihren negativen Folgen für Resistenz und Krankheits- bzw. Schädlingsanfälligkeit. Die systematische Gabe von Antibiotika in der Tierzucht entspricht dem exzessiven Einsatz von Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmitteln im Ackerbau. Für mich verläuft bei diesen Fragen die Haupt-Bruchlinie, wenn ich mich täglich entscheiden muss, was ich einkaufe 5. Unsere Aufgabe als Menschen ist es, auf die Wesen, die auf der Welt leben, acht zu geben, auf Pflanzen wie Tiere gleichermaßen, und auf die Ressourcen, die wir verbrauchen. Davon ausgehend ist für mich das starke Argument gegen Fleischverzehr nicht selektive Tierliebe sondern die Tatsache, dass für die Erzeugung tierischer Nahrungsmittel ein Vielfaches an Boden, Wasser und Energie draufgeht wie für pflanzliches Essen, Analoges gilt für die Emissionen von Treibhausgasen als Hauptverursacher des Klimawandels 6. Eins sollte uns jedenfalls klar sein: Fast durch alles, was wir Menschen tun, um Nahrung zu erwerben oder zuzubereiten – abgesehen nur vom Sammeln abgefallener Früchte oder Nüsse – werden andere Lebewesen getötet oder geschädigt. An dieser Tatsache – aus der hier bestimmt kein Glaubenssatz gemacht werden soll – können wir nichts ändern. Sie kann uns nur die große Verantwortung deutlich machen, die wir in unserem Essverhalten tragen – ob wir das sehen wollen oder nicht.

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Also: ohne Kompromisse wird es nicht gehen. An schrankenlosem Mitgefühl mit allen Lebewesen würden wir verhungern.

Ich versuche, es als eine Art Richtschnur zu nehmen, und außerdem meinen Menschenverstand zu gebrauchen. Ich gehe lieber auf Märkte als in den Supermarkt. Ich möchte Dinge kaufen und essen, die aus biologischem Anbau stammen oder sonst möglichst naturnah gezogen wurden. Besonders wichtig sind mir kurze Transportwege, daher kaufe ich fast nur heimische Ware. Ich greife so selten wie möglich zu fertig Verpacktem. An Obst und Gemüse gibt es bei mir nur das, was hierzulande gerade reif ist. Gern greife ich zu „unspektakulären“ Sorten wie Sellerie, Karotten, Kohlrüben und Äpfeln. Ich gebe mehr auf den Geschmack als auf das Aussehen. Exotisches lasse ich weg. Sehr selten esse ich Fleisch, und wenn ich es tue, achte ich auf artgerechte Haltung der Tiere.

  1. eine schöne deutsche Übersetzung dieser „Lehrrede von der Liebenden Güte“, eines zentralen Texts aus dem Pali-Kanon, findet sich unter: http://www.buddhachannel.tv/portail/spip.php?article11143
  2. http://derstandard.at/1361240395145/Religion-und-Tiere-Warum-nicht-alle-Buddhisten-Vegetarier-sind
  3. s. Altes Testament, Gen. I, 28
  4. Zu diesem Thema ist im Jahr 2012 das sehr interessante Buch: What a Plant knows von Daniel Chamovitz, dt.: Was Pflanzen wissen, erschienen. Der Autor, Professor für Pflanzenbiologie, geht darin auf jeden einzelnen Sinn von Pflanzen ein: Sie sehen, riechen, fühlen, hören, „wissen“ etwas über sich selbst und erinnern sich. Dabei wird klargestellt, dass Pflanzen nichts im menschlichen Sinn wissen können, da ihnen das Gehirn fehlt, um Sinneseindrücke zu verarbeiten. Trotzdem – so der Biologe – gelingt es ihnen, ihre Umwelt wahrzunehmen und darauf zu reagieren
  5. Das Argument, dass wegen der wachsenden Weltbevölkerung industrielle Lebensmittelproduktion in großem Stil unverzichtbar sei, ist für mich angesichts der Tatsache, dass weltweit ein Drittel der erzeugten Nahrungsmittel weggeworfen wird, höchst fragwürdig. Daher habe ich große Sympathien für Freeganer – das sind die Leute, die ihre Lebensmittel ganz oder teilweise aus den Abfalltonnen von Supermärkten beziehen
  6. s. z.B. http://www.peta.de/umwelt

Was fangen wir bloß mit Weihnachten an?

Viele von uns, grade die Älteren, haben gute, manchmal auch recht romantische Erinnerungen an Weihnachtsfeste, so auch ich. Die Tage, in denen die Familie zusammenrückte, waren eingerahmt von den christlichen Ritualen: Lesen des Evangeliums, MItternachtsmette, Singen von Weihnachtsliedern…Wir haben uns auf Geschenke gefreut, waren zusätzlich aber auch durch das für alle selbstverständliche rituelle „Drumherum“ verbunden. Das ist verloren gegangen, wie Weihnachten heute aussieht, wissen und spüren wir alle. Das ist natürlich in aller Welt so; dieses Gedicht 1 habe ich in einer australischen Zeitung gefunden:

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Wär ja kein schlechter Ansatz, Raum zum Atmen. Aber nur eine Leerstelle ist auch zu wenig, weil wir Menschen doch rituelle Tiere 2 sind.

Es geht mir schon lange so: mit den christlichen sind mir Rituale überhaupt abhanden gekommen. Buddhistischen Ritualen traditioneller Schulen, die ich als erwachsene Frau kennengelernt habe, habe ich mich von Anfang an weitgehend entzogen; da steh ich nun mit ziemlich leeren Händen. Ich sehe, dass es anderen säkularen Buddhistinnen und Buddhisten genauso geht.

  1. es stammt von dem Cartoonisten Michael Leunig und wurde im alljährlichen Kalender des Sydney Morning Herald veröffentlicht
  2. den Ausdruck hat Ludwig Wittgenstein geprägt

Über den Tod:
Was Epikur zu sagen hat

epikur Der griechische Philosoph Epikur1 schrieb:

Gewöhne dich an den Gedanken, dass der Tod uns nichts angeht. Denn alles Gute und Schlimme beruht auf der Wahrnehmung. Der Tod aber ist der Verlust der Wahrnehmung. Darum macht die rechte Einsicht, dass der Tod uns nichts angeht, die Sterblichkeit des Lebens genussreich, indem sie uns nicht eine unbegrenzte Zeit dazugibt, sondern die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit wegnimmt. Denn im Leben gibt es für den nichts Schreckliches, der in echter Weise begriffen hat, dass es im Nichtleben nichts Schreckliches gibt. Darum ist jener einfältig, der sagt, er fürchte den Tod nicht, weil er schmerzen wird, wenn er da ist, sondern weil er jetzt schmerzt, wenn man ihn erwartet. Denn was uns nicht belästigt, wenn es wirklich da ist, kann nur einen nichtigen Schmerz bereiten, wenn man es bloß erwartet.

Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr. Er geht also weder die Lebenden an noch die Toten; denn die einen geht er nicht an, und die anderen existieren nicht mehr. Die Menge freilich flieht bald den Tod als das ärgste der Übel, bald sucht sie ihn als Erholung von den Übeln im Leben. Der Weise dagegen lehnt weder das Leben ab noch fürchtet er das Nichtleben. Denn weder belästigt ihn das Leben, noch meint er, das Nichtleben sei ein Übel.

  1. Epikur lebte von 341-271 v.u.Z. Wahrscheinlich wurde er in seinem Denken von Buddhas Gedankengut beeinflusst, das durch Pyrrho von Elis, der Indien bereist hat, nach Griechenland gekommen war. Näheres lässt sich im Eintrag „Alles hängt zusammen“ auf diesem Blog nachlesen. Epikur lehrte keineswegs schrankenlosen Hedonismus, wie ihm später zugeschrieben wurde, sondern er riet, den Zustand der Seelenruhe anzustreben, um sich vom Verlangen nach Lust und der Vermeidung von Schmerz unabhängig zu machen. Das Zitat über den Tod stammt aus dem Brief an Menoikeus, überliefert in der Epikur-Biographie der ca. 220 n.u.Z. entstandenen antiken Philosophiegeschichte „Leben und Lehren berühmter Philosophen“ von Diogenes Laertios, Übersetzung: Olof Gigon; zitiert nach: http://www.philo.uni-saarland.de/people/analytic/strobach/alteseite/veranst/therapy/epikur.html

Über den Tod:
Kisa Gotami und die Senfkörner

430kisagotamiKisa Gotami 1 wehrte sich so sehr dagegen, den Tod ihres kleinen Sohnes zu akzeptieren, dass sie das tote Kind im Arm umhertrug in der Hoffnung, jemanden zu finden, der ihr Medizin geben könne, um es zu heilen. Die Menschen hielten sie für verrückt, bis schließlich einer sie zu Buddha schickte: der wüsste ein Heilmittel für sie. Als sie zu Buddha kam, gab dieser ihr den Auftrag, ihm ein paar Senfkörner aus einem Haushalt zu bringen, in dem sich noch nie ein Todesfall ereignet habe. Kisa Gotami machte sich auf die Suche, doch in jedem Haus, zu dem sie kam, war man schon dem Tod begegnet.

  1. das Gleichnis stammt aus dem Therigatha, den „Versen der frühen Nonnen“, dem 9. Buch des Khuddaka Nikaya im Pali-Kanon. coque iphone x s.: http://zugangzureinsicht.org/html/tipitaka/kn/thig/index.html

Über den Tod:
Anandas Schmerz

Ananda-2Eine Erzählung aus dem Pali-Kanon 1: Kurz vor Buddhas Tod zog sich Ananda von den anderen Schülern zurück, lehnte sich gegen den Türpfosten und weinte: Ich bin ja noch ein Lernender, der nach Vollendung strebt. Aber ach, mein Meister, der so viel Anteil an mir genommen hat, wird nun sterben! Buddha fragte die Mönche: Wo, ihr Mönche, ist Ananda? Ananda, o Herr, hat sich zurückgezogen; er lehnt am Türpfosten und weint. Da bat der Buddha einen der Mönche, Ananda zu ihm zu bringen. Er sagte: Geh und sag zu Ananda: Freund, der Meister ruft dich. Der Mönch ging und sagte zu Ananda, worum Buddha ihn gebeten hatte. Und Ananda ging zu Buddha, verneigte sich vor ihm und setzte sich neben ihn. Buddha sprach zu Ananda: Lass es gut sein, Ananda! Klage nicht, trauere nicht! Habe ich nicht von allem Anfang an gelehrt, dass alles, was wir schätzen und lieben, dem Wandel, der Auflösung, der Trennung unterliegt? Von allem, was geboren, entstanden, zusammengesetzt ist, wie kann man davon sagen: möge es nicht zerfallen? Ananda, du hast deine Sache an meiner Seite gut gemacht.

  1. nach der englischen Fassung der Maha-parinibbana Sutta, Digha Nikaya 16, D ii 72, : Last Days of the Buddha, aus dem Pali übersetzt von Sister Vajira & Francis Story, http://www.accesstoinsight.org/tipitaka/dn/dn.16.1-6.vaji.html, frei ins Deutsche übertragen von Evamaria Glatz

Buddha und die Mächtigen seiner Zeit
Eigenständigkeit zwischen Einordnung und Widerspruch

images Siddharta Gotama war, wie wir alle, ein Kind seiner Zeit, geboren und aufgewachsen unter konkreten historischen und gesellschaftlichen Bedingungen. Er hat einerseits gute Beziehungen mit Mächtigen, mit einflussreichen und wohlhabenden Leuten gepflegt und darauf konnte er im Bemühen um den Fortbestand der Gemeinschaft, die er gegründet hatte, auch nicht verzichten. Gleichzeitig hat er selbstbewusst eine Lehre verkündet, die in diametralem Widerspruch zu gesellschaftlichen Normen und religiösen Grundvorstellungen seiner Umwelt stand. Wie hat er Einordnung und Widerspruch so gelassen unter einen Hut gebracht? Wie hat denn die Welt zu Buddhas Lebzeiten in Nordindien im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung ausgesehen? Der deutsche Buddhismusforscher Hans Gruber gibt dazu eine historische Zusammenfassung, die ich so informativ finde, dass ich sie hier ausführlich wörtlich zitieren möchte 1:

Etwa seit dem 15. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung waren Nomadenvölker in Nordwestindien eingefallen, die sich „Ârya“ (sanskrit für „Edle“) nannten. Sie teilten ein (bisher nicht genau lokalisiertes) gemeinsames Ursprungsgebiet mit den Völkern, welche dereinst in Richtung Europa abgewandert waren. Aus diesem Grunde sind die europäischen und die nordindischen Sprachen eng verwandt. Um die Zeit des Erwachten (6.-5. Jh. v. Chr.) hatten sich diese Eroberer in ganz Nordindien voll etabliert, mit einem Klassensystem, das aus den vier Hauptständen besteht: Die Priester, Geistlichen und Lehrer „Brahmanen“; die Krieger, Adeligen und Machthaber „Kshatriyas“; die Händler, Viehzüchter und Bauern „Vaishyas“; sowie zuletzt die große Mehrheit der zuarbeitenden, abhängigen Bevölkerung „Shûdras“. Außerhalb dieser Vierergesellschaft stehen ganz unten die Unberührbaren „Parias“. Durch schrittweise Vermischungen sind zahlreiche „Kasten“ entstanden. Die Parias und die Shûdras rekrutierten sich primär aus den Unterworfenen, während die drei höheren Klassen (die sogenannte „arische Gesellschaft“) aus den Eroberern bestanden. An der Spitze dieses Systems stehen nun die Brahmanen, die eine für das Volk rituell und spekulativ orientierte Religion des Opferkultes führen. Die höchst umfangreichen Schriften des „Veda“ (Wissen, Heilige Lehre) dienen ihnen hierzu als Quelle, die bloß die Angehörigen jener arischen Gesellschaft hören dürften. Ihnen gelten die Veden als „göttlichen Ursprungs“ bzw. den alten Sehern „offenbart“. In dieser Ordnung spielen die Opferrituale, die alleine die Brahmanen ausführen dürften, für das spirituelle Heil und das gesellschaftliche Wohl die entscheidende Rolle. Dadurch erklärt sich die Vorrangposition der Brahmanen. Nachdem sich die Invasoren etabliert hatten, kam es im Zuge der Herausbildung einer städtisch arbeitsamen Kultur durch völlig neue Kriegs- und Arbeitsgeräte (infolge der Eisenschmelze) zu einem Umbruch des altüberlieferten Gesellschaftssystems. Die Bedeutung der Krieger und Herrscher „Kshatriyas“, aber auch der Händler und Handwerker wuchs zunehmend. Die Kshatriyas konkurrierten mit den Brahmanen jetzt offen um das höchste Wissen… In dieser Epoche wurde die individuelle Leistung oder „Persönlichkeit“ immer wichtiger, im Unterschied zur althergebrachten Hochbewertung von Rasse mit Hautfarbe, Stand, Kaste und Geschlecht…In spiritueller Hinsicht war es die „Ära der Wanderasketen“, die aus unterschiedlichen Schichten kamen, um als Wanderer und Waldeinsiedler die Erlösung vom Daseinskreislauf „Samsâra“ zu verwirklichen.

Unter diesen äußeren Rahmenbedingungen wurde Siddharta Gotama als Sohn und potentieller Nachfolger eines regionalen Fürsten geboren. Die Legende, wie sein Vater ihn vom Leid in der Welt durch ein Luxusleben im Palast fernzuhalten versuchte, ist bekannt; verbrieft ist, dass er mit etwa dreißig Jahren Familie und Palast verließ und in die „Hauslosigkeit“ zog. In einer mehrjährigen, schwierigen Phase erarbeitete er sich teils mit anderen Wandermönchen, vorwiegend aber allein in einer Art Versuch-und-Irrtum-Verfahren die Grundzüge seiner späteren Lehren. Er hat die häufig extremen religiösen Übungen von Wanderasketen kennengelernt, versucht und hinter sich gelassen. In diesem gesellschaftlichen Kontext die Lehre vom „Mittleren Weg“ zwischen den Extremen asketischer Selbstkasteiung und uneingeschränkter Hingabe an Genuss zu entwickeln, war Siddharta Gotamas historische Leistung und der erste Hinweis, dass sein Weg…ähnlich auch von den Laienanhängern in ihrem Leben in der Welt verwirklicht werden kann, wie Hans Gruber formuliert 2:

Der mit Desorientierung verbundene Umbruch von der altüberlieferten zur neuen Ordnung förderte den Willen, tief tragfähige spirituelle Werte zu verwirklichen. Was nun einfach immer mehr zählte, war Entschlossenheit und persönliche Vorzüge (spirituell wie weltlich), entgegen äußerer „Form“. Damit haben die Kastenniederen und Kastenlosen im Vergleich zu den Kastenhohen, die Laien im Vergleich zu den professionellen „Geistlichen“, sowie die Frauen im Vergleich zu den Männern bis dahin ungekannte, neue weltliche und spirituelle Entfaltungsmöglichkeiten erhalten. Diese Tatsache wird besonders an der Urgemeinde des Erwachten klar: Hier haben die Frauen, Laien und früheren Kastenniederen oder Kastenlosen neben den Männern, Ordinierten und früheren Kastenhohen historisch erstmals eine Hauptrolle als selbst den inneren Heilsweg Verwirklichende eingenommen.

Mit Siddharta Gotamas weiterem Leben hat sich Stephen Batchelor, ausgehend von Texten des Pali-Kanon ausführlich und ohne Heiligenverehrung auseinandergesetzt 3. Batchelor beschreibt, wie Gotama, nachdem er sich nach einigem Zögern entschlossen hatte, seine Lehre öffentlich zu verbreiten, sich um das physische Überleben seiner Gemeinschaft kümmerte. Für seine umherziehende Gruppe von „Hauslosen“ brauchte es Unterkünfte während der Zeit der monatelang dauernden heftigen Monsunregen. Ein erster hochgestellter Anhänger, König Bimbisara, bot ihm dafür einen Park, den Bambus-Hain, an, später gab es ein ähnliches Angebot des wohlhabenden Bankkaufmanns Anathapindika, beides wurde akzeptiert und genutzt. gotama und könig bimbisara König Bimbisara und Siddharta Gotama

jeta-hainJeta-Hain, von Anathapindika zur Verfügung gestellt

Während der vielen Regenzeiten, die Gotama mit seinen Anhängern in diesem Hain verbrachte, achtete er besonders darauf, ein gutes Verhältnis mit dem örtlichen König Pasenadi zu pflegen. Batchelor schreibt 4:

Die vielen überlieferten Dialoge zwischen ihnen vermitteln den Eindruck, dass die beiden Männer sich gut kannten. Ihr Austausch ist geprägt von Freimütigkeit und fehlender Förmlichkeit. Manchmal scheint der König Gotama zu necken oder zu provozieren, als ob er ihn testen wollte. Und die Antworten Gotamas erscheinen oft zurückhaltend und vorsichtig, als sei er auf der Hut, etwas zu sagen, was der König als Angriff verstehen könnte.

Batchelor schildert ein Gespräch zwischen den beiden, in dem der König Gotama wissen lässt, dass er als Mönche verkleidete Spione einsetze. Gotama gibt nicht zu verstehen, dass das keine gute Idee sei, sondern bemerkt nur: In der Verkleidung als disziplinierte Männer ziehen undisziplinierte Männer durch das Land. Batchelor belegt noch durch andere Beispiele, wie Gotama als ein Teil des gesellschaftlichen Gefüges agierte, in dem er lebte, und im Interesse seiner Gemeinschaft auf ein gutes Verhältnis zu seinen Gönnern, unter denen mächtige Männer waren, Wert legte. Dass er von ihnen anerkannt wurde und sie sich seiner Lehre anschlossen, wird neben seiner persönlichen Überzeugungskraft und seinem Charisma zumindest anfangs dadurch begünstigt worden sein, dass er selbst „aus besseren Kreisen“ stammte. Aber er war weit davon entfernt, irgendjemandes Günstling zu sein. Stephen Batchelor schreibt über seine Stellung zum Establishment seiner Zeit 5:

Siddharta Gotama war ein Nonkonformist, ein Radikaler…Er wollte nichts mit der priesterlichen Religion der Brahmanen zu tun haben. Er wies ihre Theologie als unsinnig, ihre Rituale als nutzlos und die soziale Struktur, die ihnen ihre Macht verlieh, als ungerecht zurück….Er weigerte sich, die Rolle eines erleuchteten Gurus zu spielen, der von seinen Schülern kritiklose Unterwerfung fordert, bevor er ihnen Lehren, die einer spirituellen Elite vorbehalten sind, unterbreitete.

In der Esukari-Sutta spricht Gotama eine deutliche Sprache 6:

In wessen Dienste dienend ich schlechter würde, nicht besser: dem mag ich nicht dienen; in wessen Dienste dienend ich aber besser würde, nicht schlechter: dem mag ich dienen. Ich sage nicht, Priester, dass hohe Geburt besser mache; ich sag‘ auch nicht, Priester, dass hohe Geburt schlechter mache. Ich sage nicht, Priester, dass große Schönheit besser mache; ich sag‘ auch nicht, Priester, dass große Schönheit schlechter mache. Ich sage nicht, Priester, dass großer Reichtum besser mache; ich sag‘ auch nicht, Priester, dass großer Reichtum schlechter mache. Auch von hoher Geburt ist ja da, Priester, mancher ein Mörder, ist ein Dieb, ist ein Wüstling, Lügner, Verleumder, ist ein Zänker und Schwätzer, voll Gier und Hass und Eitelkeit: darum sag‘ ich nicht, dass hohe Geburt besser mache. Auch von hoher Geburt ist ja da, Priester, mancher kein Mörder, ist kein Dieb, ist kein Wüstling, Lügner, Verleumder, ist kein Zänker und Schwätzer, ist nicht begehrlich, nicht gehässig, recht gesinnt: darum sag‘ ich nicht, dass hohe Geburt schlechter mache. Auch mit großer Schönheit, Priester, auch mit großem Reichtum ist ja da mancher ein Mörder, ist ein Dieb, ist ein Wüstling, Lügner, Verleumder, ist ein Zänker und Schwätzer, voll Gier und Hass und Eitelkeit: darum sag‘ ich nicht, dass große Schönheit, großer Reichtum besser mache. Auch mit großer Schönheit, Priester, auch mit großem Reichtum ist ja da mancher kein Mörder, ist kein Dieb, ist kein Wüstling, Lügner, Verleumder, ist kein Zänker und Schwätzer, ist nicht begehrlich, nicht gehässig, recht gesinnt: darum sag‘ ich nicht, dass große Schönheit, großer Reichtum schlechter mache. Ich sage nicht, Priester, dass man jedem dienen solle; ich sag‘ auch nicht, Priester, dass man keinem dienen solle. Denn bei wem da, Priester, indem er einem dient, durch den Dienst das Vertrauen zunimmt, die Tugend zunimmt, die Erfahrung zunimmt, der Opfermut zunimmt, die Weisheit zunimmt: dem, sag‘ ich, soll man dienen. Ebenso nun auch, Priester, kann wer da aus einem Kriegergeschlechte oder Priestergeschlechte oder Bürgergeschlechte oder Dienergeschlechte vom Hause fort in die Hauslosigkeit gezogen und zu des Vollendeten dargelegter Lehre und Ordnung gekommen ist, von Mord absteht, von Diebstahl absteht, von Unkeuschheit absteht, von Lüge, Verleumdung, Zank und Geschwätz absteht, nicht begehrlich, nicht gehässig, recht gesinnt ist, Echtes erwirken, heilsames Recht.

Gotama hat hier – wie auch in anderen Fällen – einen traditionellen Begriff aus eigenem umdefiniert: edel war für ihn nicht ein Mensch, der in eine „edle“ Kaste hinein geboren war, sondern der ein edles Leben führte. Damit öffnete er seine Lehre für Angehörige aller Kasten, und machte sich gleichzeitig Vertreter der überkommenen Weltsicht und Religion, vor allem Brahmanen, zu Gegnern. Wie er mit der Aufnahme von Frauen in seine Gemeinschaft umging, ist bekannt: trotz seiner grundsätzlich offenen Haltung sträubte er sich lange dagegen. Erst durch weibliche Hartnäckigkeit ließ er sich umstimmen, nicht ohne den Nonnen strengere Regeln aufzuerlegen als den Mönchen. Stephen Batchelor kommentiert das mit dem Hinweis, wie ungeheuerlich in der indischen Gesellschaft zu Buddhas Zeit der Gedanke war, Frauen den Männern gleichzustellen. Mönche mussten sich strikt von Frauen, die samt und sonders als Repräsentantinnen verwerflicher Lust galten, fernhalten. Gotama lief Gefahr, seine ganze Gemeinschaft zu gefährden, wenn er hier nicht sehr vorsichtig vorging. Siddharta Gotama war diplomatisch und lehrte radikal; er war kein Revolutionär, kein Bilderstürmer. Er lebte und handelte wegweisend, nicht kämpferisch, und unter allen Umständen gewaltfrei. Den Themen seiner Zeit hat er sich nicht entzogen, aber sich nie verstricken lassen. Er entwickelte und vertrat seine Lehre eigenständig, er war sich selbst eine Insel. Zeitlebens lehnte er ab, ein Führer zu sein, und bestimmte auch keinen für die Zeit nach seinem Tod. Dabei setzte er auf die Kraft des Dharma und der Gemeinschaft. Von sich selbst sagte er, er hätte nur ein Thema: das Leiden und das Ende des Leidens. Diese Klammer verbindet uns alle.

  1. http://www.buddha-heute.de/rubrik-06/hinduism-buddhism.htm. Gruber verwendet in diesem Text die Bezeichnung „der Erwachte“ für Siddharta Gotama
  2. s. Anm. 1
  3. Batchelor, Stephen: Bekenntnisse eines ungläubigen Buddhisten, München 2010, S. 130ff. u. passim, engl. Original: Confession of a Buddhist Atheist, New York 2010
  4. s. Anm.3, S 213f.
  5. s. Anm. 3, S 176
  6. Esukari Sutta, Majjima Nikaya 96

Hans im Glück

hans im glückWir kennen das Märchen 1: Der Hans erhält als Lohn für sieben Jahre fleißiger Arbeit einen großen Goldklumpen. Den tauscht er gegen ein Pferd, weil er ihm zu schwer zu tragen ist. Das Pferd ist zu störrisch, und er erhält eine Kuh dafür. Die gibt aber keine Milch, und so tauscht er sie gegen ein Schwein. Der nächste Tauschpartner redet Hans ein, das Schwein könnte gestohlen sein, also bekommt er eine Gans. Dann trifft er auf einen Scherenschleifer und tauscht ein letztes Mal: Gans gegen Wetzstein, und einen Feldstein als Unterlage beim Schleifen. Beide fallen ihm später ins Wasser, so ist er sie los, fröhlich kommt er nach Hause. Der Hans ist also ein Dummkopf? Auf jeden Fall ist er ein fleißiger, freundlicher Mensch. Für seine Entscheidungen hat er immer gute Gründe: den Nutzen für die Gegenwart, nicht den Geldeswert seines Eigentums. Im Gegensatz zu all seinen Tauschpartnern handelt er arglos und versucht nicht, um eines vermeintlichen Vorteils willen zu betrügen. Unbeschwert kehrt er heim. Kürzlich ist die Schwester einer Freundin gestorben. In einem Abschiedstext schrieb sie über Hans im Glück: …Dieser scheinbare Tölpel, der ständig draufzahlt und es nicht einmal merkt! Der arbeiten, verdienen und herzhaft verlieren kann, und noch glücklich dabei ist: innere Leichtigkeit macht ihn zum großen Gewinner. Hans musste gar nicht abwerfen, was ihn beschwert hat, er hat es einfach fallen lassen.

Linksverkehr

Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass der Dalai Lama empfiehlt, jedes Jahr an einen unbekannten Ort zu reisen. In Australien war ich zwar früher schon, aber auch bei meinem jetzigen Aufenthalt ist vieles noch neu und frisch. Dass die Menschen englisch sprechen und die Autos auf der anderen Seite der Strasse fahren, versteht sich. Aber da gibt es noch viele Dinge, die anders sind als gewohnt.

papagei

Das gruene Gras hat einen Stich ins Gelbliche. Manche Lebensmittel – auch bekannte wie Kartoffel – schmecken anders als bei uns. Auch in Staedten fliegen, laut kraechzend, kleine und grosse Papageien. Wenn man zur Brutzeit mit dem Fahrrad zu nah am Nest eines Magpies – das ist ein elsternartiger Vogel – vorbeifaehrt, kann es einem passieren, dass man mit lautem Gekreisch und Schnabelhieben attackiert wird. Eukalyptusbaeume werfen nicht die Blaetter ab, sondern die Rinde. Wenn die Menschen von schlechtem Wetter reden, meinen sie grosse Hitze, und alle freuen sich, wenn es regnet. Im Meer kann man nicht gut schwimmen: die Brandung ist meist zu stark, dafuer gibt es ueberall Pools, und Lagenschwimmen ist Volkssport. Es gibt ganz viele gepflegte oeffentliche Toiletten (ein Segen fuer TouristInnen!). Die Tastaturen der Computer sind anders (wie man an diesem Text sehen kann). Die Menschen auf der Strasse, im Bus und in Geschaeften sind so freundlich, dass frau – an grantige Wienerinnen und Wiener gewohnt – es anfangs kaum glauben kann. Ins Gespraech zu kommen ist sehr viel leichter als bei uns. Frau braucht mehr Aufmerksamkeit und bekommt einen frischen Blick. Manches macht Angst, und Manches macht locker; weniger Dinge als zu hause sind so selbstverstaendlich, dass sie gar nicht bedacht oder erwaehnt werden. Wo er recht hat, hat er recht, der Dalai Lama.

Peer-Retreat, geht das? Wie geht das?

IMG_6514 Ein wenig Spundus haben wir wohl alle vier gehabt, als wir ins Buddhistische Zentrum nach Scheibbs zum ersten von uns vorbereiteten und moderierten Seminar gefahren sind. Erfahrung mit der Teilnahme an Retreats haben wir alle, aber das war jetzt doch etwas anderes. Ohne Lehrerin, ohne Vorträge über klassisch-buddhistische Themen, auch ohne viel Erfahrung mit der Anwendung von „recollective awareness“, der gezielten Erinnerung an das, was während des Sitzens in einem vorgeht. Mit einem Tagesplan, der viel Meditation vorsah, viel persönliches Nachdenken darüber, nur kurze Rede-Impulsen von uns und viel Zeit zum Austausch im Gespräch. Dazu Yoga, gemeinsame Arbeit und Spazierengehen im Schweigen. Außer uns Vieren – Bernd, Cristina, Evamaria, Monika – haben zehn Menschen sich darauf eingelassen. Besonders gefreut hat uns alle, dass eine junge Frau mit sichtbarem Babybauch darunter war; sie hat uns gesagt, dass ihr Kleiner so ruhig war wie sonst nie, und dass er sehr gewachsen sei während der drei Tage. Am Anfang gab es eine Einführung in die Praxis der „recollective awareness“. Über unseren alltäglichen Umgang mit der Zeit, und über das Leben mit Krankheit haben wir Denkanstöße formuliert. Wir hatten für jeden Tag ein Thema, zu dem wir auch immer wieder zurückgekehrt sind: Vertrauen, Freundlichkeit, und Dankbarkeit. Ein paar Bruchstücke aus meiner Erinnerung: Wir sitzen oder liegen nach einer Meditationsrunde im Kreis, alle eifrig mit dem Notieren unserer Erfahrungen beschäftigt – ein ungewohnter Anblick. Wir üben später, uns im Gespräch darüber auszudrücken und durch genaues Zuhören, manchmal durch Nachfragen, die Wahrnehmung zu schärfen, ohne in Diskussionen zu geraten. Einer erzählt da, wie er bei der Gehmeditation auf einem Kiesweg fantasiert habe, hinter ihm ginge jemand, der ihn zur Eile antreibe – da sei aber keiner gewesen außer ihm selbst. Gelächter. Der Austausch über solche Beispiele, wie wir uns selber unter Druck setzen, entspannt. In den Arbeitsperioden beteiligen sich alle gemeinschaftlich am Schlichten von Holz, dem Kehren der Gänge oder dem Putzen von Gemüse. Das Programm war ordentlich dicht; als wir das zu hören bekamen, haben wir eine Phase freundlichen Nichtstuns eingebaut – das hat uns gut getan. Die Atmosphäre habe ich als neugierig, aufmerksam und sehr diszipliniert empfunden, viel Wärme und Wohlwollen füreinander habe ich auch gespürt. Das Seminar ist gut angekommen, wie uns am Ende gesagt wurde. Es hat auch klare Vorschläge gegeben, was ein nächstes Mal – und es soll im Herbst 2015 ein nächstes Mal geben – anders ablaufen könnte. Es gab mehrfach den Wunsch nach mehr Bezug zu Buddhas Lehre. Da haben wir die Kalama-Sutta, Buddhas Ermächtigung an alle Praktizierenden, sich ihren eigenen Weg zu suchen, wohl ein wenig überstrapaziert. Ja, und nicht zu überhören: mehr Pausen soll es geben, zum Trinken, zum Aufs-Klo-Gehen und überhaupt. Unsere Aufrufe, aufmerksam mit unserer Zeit umzugehen und uns nicht zu überanstrengen, könnten wir beim nächsten Mal noch besser beherzigen. Guten Mutes bin ich heimgekommen.

Freude
von Christina Feldman

Bei dem folgenden Text handelt es sich um die freie und gekürzte Übersetzung eines Dharma-Talks zu einem Thema, das in der buddhistischen Literatur ein wenig zu kurz kommt, wie wir meinen 1: Freude wird oft als das Ergebnis harter Arbeit gesehen, als etwas, das entsteht, wenn man ein Problem bewältigt hat. Ich möchte sie anders darstellen: als eine unverzichtbare Einstellung bei der Entwicklung unserer Praxis, eine Qualität des Kultivierens. Buddha lädt uns ein, die Ansicht aufzugeben, wir würden in Momente der Freude und – wenn wir weniger Glück haben – in Momente der Verwirrung wie zufällig hinein stolpern. Die Qualitäten unseres Geistes, nach denen wir uns sehnen und die wir wert schätzen, entstehen nicht zufällig, sondern durch konsequente Pflege und Übung. ChristinaFeldmann In Buddhas Lehren ist viel von Freude die Rede, von dem Pfad zum Glück, der zu Frieden führt. Freude ist eine der Brahmaviharas 2, der edlen Qualitäten des Herzens, und sie ist einer der Faktoren des Erwachens. Es wird so wenig über sie gesprochen, sehr viel dagegen über Leiden. Wir sprechen auch viel über Metta, über Mitgefühl, über Gleichmut, aber das Element der Freude wird in unserer Erfahrung und unserer Praxis ein wenig gering geschätzt, als etwas, was später kommt. Ich finde Freude so wichtig auf unserem Weg, auf dem wir wirklich oft gefordert sind, uns mit vielen Schichten von Schwierigkeiten, Kämpfen und Angst in uns selbst und in der Welt auseinander zu setzen, ohne daran zu zerbrechen. Ohne das Kultivieren von Mitgefühl und Freude können die Schwierigkeiten uns überwältigen. In unserem Alltag, in unserer Meditation stoßen wir immer wieder auf das, was sich unvollkommen und bruchstückhaft anfühlt oder was uns Sorgen macht. Wir brauchen Freude, die unsere Achtsamkeit ausbalanciert und uns daran hindert, unsere Schwierigkeiten zu übertreiben. Freude macht das Herz leicht, sie bringt Zufriedenheit und inneren Raum, sie ist Teil unserer Fähigkeit, uns von allen Dingen berühren zu lassen. Sie ist ein Zustand, der von anderen Zuständen nicht getrennt ist, sie kann gleichzeitig mit Traurigkeit und Sorgen in uns sein. Buddha sagt im Dhammapada 3: Lebe in Freude und Liebe auch unter Hassenden, lebe in Freude und Zuversicht auch unter Bekümmerten, lebe in Freude und Frieden auch unter denen, die Sorgen haben. Buddha spricht da auch vom Zorn, den Kümmernissen, den Sorgen in uns selber und schlägt vor, auf unserem Weg Stille und Freude zu pflegen. Buddha spricht von verschiedenen Arten der Freude: von sinnlicher Freude, von Erbarmen, von Entzücken, von altruistischer Freude, der Freude der Zufriedenheit und der Dankbarkeit, und schließlich von der Freude des erwachten Herzens. Jeder Augenblick ist ein Augenblick der Möglichkeiten, und unser Herz und unser Geist leben in und mit diesen Möglichkeiten. Dieser Geist, dieses Herz, die das Potential haben, soviel Verwirrung, Kampf und Qual zu erleben, sind genau derselbe Geist und dasselbe Herz, die tiefe Ebenen der Freude erreichen können. In unserer Praxis können wir uns bewusst machen, welche Faktoren diese Fähigkeit unterdrücken. Diesen offenen inneren Raum von Freude zu schaffen, daran können wir arbeiten. Freude hat Wurzeln, mit denen wir vertraut sind. Eine davon ist Metta, uneingeschränkte Freundlichkeit. Metta erzeugt ein Gefühl des Verbundenseins anstelle von Abkehr, Furcht und Abneigung – das sind Faktoren, die Freude unterbinden und die Tore unserer Sinne verschließen, sodass unser Herz nicht berührt werden kann. Freude beginnt mit dem bewussten Kultivieren der Bedingungen für Freundlichkeit, für Nicht-Verletzen, für Fürsorge. Im Dhammapada spricht Buddha vom disziplinierten Herzen, das durch Freude einladend wirkt. Um was geht es bei dieser Disziplin? Sicher nicht um Anweisungen und Druck, sondern darum, wie wir von Augenblick zu Augenblick lernen, unseren Geist geneigt zu machen, der Fülle jeden Moments zu begegnen. Eine Dimension von Freude ist Sinnesfreude, die sich deutlich von sinnlichem Verlangen unterscheidet. Es geht um unsere Fähigkeit, wert zu schätzen, uns berühren zu lassen. Viele Meditierende im Westen haben solche Angst, sich an Begierden zu binden, dass sie es nicht wagen, sinnliche Freude zu genießen. Dabei kann z.B. das Genießen von Natur ein starker Verbündeter in unserer Praxis sein. Den Himmel, die Luft auf unserer Haut, den Wind in den Bäumen bewusst zu empfinden, wird uns nicht zu einem Leben in Samsara verurteilen. Es geht um die Fähigkeit, uns berühren zu lassen. Nicht fest zu halten, uns nichts aneignen zu wollen, sondern einfach da sein, dem Schönen zu begegnen und zu wissen, dass es einen Einfluss hat, dass es etwas ist, woran wir uns erinnern können. Wenn wir Augen und Ohren öffnen, uns anrühren lassen, können wir manchmal in der größten Einfachheit Glück im Herzen spüren.

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Bei der Meditation kann in einem Zustand intensiver Konzentration tiefe Freude aufkommen, Erbarmen mit uns selbst und anderen, oder auch Entzücken. Buddha hat deutlich gewarnt, solche Zustände anzustreben; sie entstehen und vergehen unter bestimmten Bedingungen wie alle anderen Zustände. Das macht sie aber nicht wertlos. Einer der Gründe, warum Menschen Retreats besuchen, liegt darin, dass sie uns einen kurzen Blick auf Freude, Wohlbefinden und Glück, die in unserem Inneren entstehen, möglich machen. Freude, die nicht darin besteht, etwas zu bekommen, nicht darin, etwas loszuwerden oder etwas zu kontrollieren. Dieser direkte Blick auf die Freude, die in uns selbst entstehen kann, verändert unsere Beziehungen zu Menschen und zu unseren Erfahrungen. Wir sind dann nicht länger Geisel der Bedingungen, die uns umgeben, und schlagen uns nicht durchs Leben wie hungrige Wölfe, die immer auf etwas warten, was uns froh und glücklich machen soll. Qualitäten von Freude sind Wertschätzung und Dankbarkeit. Dafür, dass Menschen mit uns in Verbindung stehen, sich um uns kümmern, überhaupt für die vielen Menschen in unserem Leben, auch für die schwierigen. Die Wertschätzung für alle diese Menschen ist eine Praxis des gegenwärtigen Augenblicks: wir sind hier, im einzigen Leben, in dem wir leben, dem einzigen Augenblick, den wir bewohnen können. Hier haben wir die Wahl, wo wir uns niederlassen wollen: in Ärger, Neid, Vorwürfen und Scham, oder in unserer Fähigkeit, still, freundlich und wertschätzend zu sein. Wertschätzung ist auch eine innere Qualität uns selbst gegenüber. Wir können so verurteilend uns selbst gegenüber sein, was unsere Praxis und unsere Entwicklung betrifft. Wir können unsere Zeit aber besser nutzen als für Selbstvorwürfe. Neben dem Auf und Ab unserer Erfahrungen gibt es etwas, was wir tief wertschätzen sollten: unseren eigenen Einsatz und unsere Hingabe an die Praxis. Der menschliche Geist hat eine Neigung dazu, sich auf das Unvollkommene zu konzentrieren, festzuhalten, was falsch läuft, was fehlt. Aus der Sicht der Evolution war das überlebenswichtig; aber wir sind jetzt nicht in einer Situation, wo der Tiger vor der Tür sitzt. Wir sollten lernen, besser wahrzunehmen, was an uns und anderen gut ist. Wir können das Empfangen und Geben üben, eine Art inneren Wohlbefindens, auch in Schwierigkeiten. Wenn es uns gut geht, verdanken wir das immer auch der Freundlichkeit und Großzügigkeit anderer Menschen. Freude hat mit dem Wissen zu tun, was es bedeutet, in der Gegenwart präsent zu sein. Das ist kein Klischee. Es bedeutet, rückhaltlos zu leben und wert zu schätzen, was dabei herauskommt. Wenn unsere Praxis sich vertieft, stellen wir fest, dass nicht alles, was uns bisher bedrängt und geängstigt hat, gleich bleibt. Vielleicht werden wir weniger ungeduldig, weniger urteilend, weniger frustriert. All das gilt nicht immer, es ist ein Prozess mit Höhen und Tiefen, aber: Dinge fallen weg. Und damit verbunden ist ein Gefühl von Freiheit und Freude. Wir lernen, den Augenblick zu befreien. Es mag die Frage entstehen, wodurch Freude behindert wird. Da ist vor allem die Geschäftigkeit unseres Geistes. Was wir an unserer Praxis alles verändern wollen: es ist fast überwältigend, wie viel wir da zu tun haben: weniger Gier, weniger Zorn… So viele Ziele ersticken unsere Fähigkeit, uns zu freuen. Wenn wir Ziele haben und verfolgen, brauchen wir uns nicht die Frage zu stellen: wer bin ich eigentlich? Unser Leben lässt sich füllen mit Plänen, Projekten, Voreingenommenheiten und fixen Ideen. Wir können aber lernen, dass wir dazu nicht lebenslänglich verurteilt sind. Es ist eine Art von Überfüllung, und wir können lernen, mehr Leere zu schaffen. Nicht die täglichen Anforderungen des Lebens hindern uns an der Freude. Ich denke, es sind vielmehr die Obsession und die Gier. Beiden gemeinsam ist Erregung. Sie herrscht, wenn wir auf der Suche nach Lösungen und Antworten obsessiv dieselben Gedankenschleifen wiederholen. Obsession spielt sich im Inneren ab, während Gier die Erregung nach außen richtet. Gier ist eine Obsession, die um das Objekt unserer Begierde kreist, sei das eine Meditationserfahrung oder ein zweiter gefüllter Teller beim Mittagessen. In solchen Momenten kann ich mich fragen: gibt es hier Freude, oder wird Freude gehindert? Freude ist nicht ein bestimmter Zustand, sondern wachsendes Verständnis dafür, was uns im Weg steht. Wir sind nicht lebenslänglich zu Obsession und Gier verurteilt. Praxis hilft uns, die Erregung zu dämpfen. Der wichtigste Aspekt von Freude ist: sie kann eine Welt in Frage stellen, die auf Ablehnung und Gier aufgebaut ist, sie kann die Enge in Frage stellen, die in unserem Geist durch dessen Erregung entsteht.

  1. Christina Feldman ist Lehrerin der Vipassana-Tradition und Mitbegründerin von Gaia-House in England. Sie lehrt Einsichtsmeditation seit 1976 und engagiert sich im Dialog von kognitiven Therapien und Buddhismus. Der englische Text findet sich auf www.dharmaseed.org/teacher/44/talk/21817/20131114. Er ist unter einer Creative Commons 3.0 License verfügbar. Für die Übersetzung: Evamaria Glatz
  2. zu Brahmaviharas s: http://de.wikipedia.org/wiki/Brahmavihara
  3. Der Dhammapada ist eine frühe Anthologie von Aussprüchen des Buddha, s.: http://de.wikipedia.org/wiki/Dhammapada. Eine deutsche Übersetzung findet sich unter: http://www.dhammapada.de/