von Winton Hinggins
dieser Text ist eine Zusammenfassung des Buches revamp, das im letzten Beitrag vorgestellt wurde.
Vor zweieinhalb Jahrtausenden lebte ein Mann namens Gotama in einem Teil Indiens, der vor kurzem aufgeblüht war, obwohl kriegerische Auseinandersetzungen der Mächtigen das Leben gefährlich gemacht hatte. Er sah sich mit den unausweichlichen Wechselfällen des Lebens konfrontiert, die wir als menschliche Wesen alle erfahren: Geburt, Tod, Altern, Krankheiten, Trennungen, unangenehme Erfahrungen, und alles zusammen unsere psycho-physiologische Anfälligkeit. Er hat eine Praxis entwickelt, mit diesen Schwierigkeiten in kreativer Weise umzugehen, sodass dadurch letztlich volles menschliches Gedeihen entstehen kann. Diese Praxis beruht auf einer Ethik von Sorgfalt und Fürsorge und einer Haltung erforschender Meditation. Gotama hat ein Grundgerüst von Ideen (den „Dharma“) ausgearbeitet, den die Menschen nutzen konnten, um ihre eigenen Lebenserfahrungen und ihr Innenleben zu analysieren und zu verändern. Auf diese Weise zog der eine vielfältige Anhängerschaft an, die ihn „Buddha“nannte, und begründete die Tradition der Dharma-Praxis.
Bis zum heutigen Tag ist dies eine lebendige Tradition geblieben, die niemals unterbrochen wurde. Seit seinem Tod hat sich diese Tradition in eine institutionalisierte Religion gewandelt, die später mit dem Titel Buddhismus bezeichnet wurde – mit allen Merkmalen, die darin impliziert sind.
Metaphysische Glaubenssätze entstellten das Grundgerüst der Ideen: die Praxis wurde ritualisiert und reglementiert, Anhänger wurden nach Geschlecht, sozialem Status als Laien oder Mönche und nach dem Rang eingeteilt, und religiöse Würdenträger mit symbiotischen Beziehungen zur weltlichen Macht hielten Einzug. Diese Faktoren in dämpften die Effektivität, mit der sich das innere Leben entfalten konnte, sodass es hauptsächlich als konservative Basis für sozialen Zusammenhalt und als politische Legitimation fungierte.
Die Wendung ins Religiöse hätte die lebende Tradition ersticken können, hätten nicht in jeder Generation Andersdenkende Einfluss genommen, und so breitete sich das Eigentliche des Dharma auf andere Kulturen und Gesellschaften aus. Jeder dieser Auftritte wurde zur Gelegenheit für einen neuen Blick auf den originalen Dharma. Es war immer ein Vorspiel für die kreative Arbeit, ihn in eine neue Sprache, kulturelle Referenzpunkte und historische Gegebenheiten zu übersetzen. Der Dharma wurde immer dann besonders kräftig reanimiert, wenn in der Kultur des Landes, das er erreichte, die Macht der Institutionen der nationalen Religionen eine eher kleine Rolle spielte.
In unserer Zeit hat sich die Dharma-Praxis auf alle bewohnten Kontinente ausgebreitet, inklusive der westlichen Länder, wo die Autorität institutioneller Religionen in letzter Zeit geschwunden ist und dabei auf der Suche nach „Bedeutung“ eine Leerstelle hinterlassen hat. Buddhismus wurde einer von den vielen Anwärtern, die diese Leerstelle auszufüllen versuchten. Ursprünglich kam er in traditionellen Formen mit asiatischen Einwanderergemeinden an, dann drang er als teilweise laisierter „Buddhistischer Modernismus“ ab den 1960 Jahren in westliche Gesellschaften vor. Als eine hybride Form hat der buddhistische Modernismus zu viele Elemente der traditionellen asiatischen religiösen Schulen bewahrt, um in den spätmodernen westlichen Kulturen Fuß zu fassen. Im Bestreben, diese Begrenzung zu überwinden, hat sich während der ersten Dekade dieses Jahrhunderts der säkularer Buddhismus herauskristallisiert.
Säkular bezieht sich hier auf zeitliche Dimension– auf die Tatsache, dass wir selbst und jedermann und alles, was unsere Lebenswelt ausmacht, beginnt, eine Weile andauert und dann zu seiner Zeit endet. Säkularität meidet Offenbarungen und Glaubenssätze über Objekte und Formen von Existenz außerhalb der Zeit. So wie Buddha selbst hat säkularer Buddhismus nichts am Hut mit metaphysischen Glaubensansprüchen. Säkularität besteht darauf, dass Gedanken und Praxis sich mit bestimmten Zeitpunkten und Umständen befassen sollten. Wie ihre Vorläufer in anderen neuen Wirtsgesellschaften kehren säkulare Buddhisten zu den originalen Lehren auf ein einige der immer wiederkehrenden Fragen zurück: wie soll ich leben? Welche Art von Mensch soll ich werden? Dazu kommen noch die neu entstandenen Fragen durch die Möglichkeiten und Gefahren, mit denen wir jetzt konfrontiert sind.
Wie Buddha selbst durchleben wir im Westen eine Periode großer Umbrüche. Wir können die Ethik der Sorgfalt und Fürsorge des Dharma kultivieren, indem wir die seit langem etablierten religiösen, sozialen und politischen Sicherheiten über den Haufen werfen und immer wieder die Gelegenheiten ergreifen, die schreienden Ungerechtigkeiten von Patriarchat, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Frage zu stellen. Aber wir selbst, unsere Zivilisation und die ganze Biosphäre stehen nun unter der enormen existenziellen Bedrohung des Klimawandels.
Um das Beste aus unserer Dharma-Praxis zu machen, müssen wir tief in unsere eigene Geschichte und Kultur eintauchen. Indem wir die westlichen Wesensverwandtschaften mit dem Dharma identifizieren, können wir sein Potenzial erkennen, unsere Leben zu bereichern und es in das Erbe der Menschheit einzugliedern. Dadurch können wir uns selbst in der Geschichte unserer eigenen Gesellschaften verorten und können dann dafür Verständnis entwickeln, wie unsere gegenwärtigen Gefahren und Möglichkeiten entstanden sind und wie wir in Übereinstimmung mit unserer Ethik der Sorgfalt und Fürsorge am besten angemessen reagieren können.
Wir leben jetzt in einer vernetzten Welt, einer Katastrophe vor Augen, die wir Menschen heraufbeschworen haben. Wir müssen uns von der alten Idee verabschieden, dass nette BuddhistInnen sich von weltlichen Angelegenheiten fernhalten, besonders von der Politik– wir müssen unsere ethische und spirituelle Praxis genau auf diese Bereiche ausdehnen. Wir finden die unmittelbaren Einflussfaktoren in einem globalen kapitalistischen System und in der regressiven Politik des Neoliberalismus, das uns an den Rand des Abgrunds bringt. Mit großen Kosten für die sozialen und natürlichen Welten hat das gegenwärtige sozioökonomisches System eine progressive Rolle in der entstehenden Wissenschaft und Industrie gespielt. In seiner Fähigkeit, zum menschlichen Wohlbefinden beizutragen, hat es sich aber jetzt überlebt und nur seine barbarische Destruktivität ist übergeblieben.
Um die Ethik von Sorgfalt und Fürsorge anzuerkennen, können säkulare BuddhistInnen mithelfen, die Verantwortung für die Umwelt, soziale Kontrolle über produktive Ressourcen, sozialen Zusammenhalt und Fairness wiederherzustellen. Dieses Projekt erfordert einen schrittweise Übergang zu einem neuen sozioökonomischen System – dem demokratischen Sozialismus.
Die Prozesse, die das aufbauen können, sind schon im Laufen.
übersetzt von Eva-Maria Glatz
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