Bei dem folgenden Text handelt es sich um die freie und gekürzte Übersetzung eines Dharma-Talks zu einem Thema, das in der buddhistischen Literatur ein wenig zu kurz kommt, wie wir meinen 1: Freude wird oft als das Ergebnis harter Arbeit gesehen, als etwas, das entsteht, wenn man ein Problem bewältigt hat. Ich möchte sie anders darstellen: als eine unverzichtbare Einstellung bei der Entwicklung unserer Praxis, eine Qualität des Kultivierens. Buddha lädt uns ein, die Ansicht aufzugeben, wir würden in Momente der Freude und – wenn wir weniger Glück haben – in Momente der Verwirrung wie zufällig hinein stolpern. Die Qualitäten unseres Geistes, nach denen wir uns sehnen und die wir wert schätzen, entstehen nicht zufällig, sondern durch konsequente Pflege und Übung. In Buddhas Lehren ist viel von Freude die Rede, von dem Pfad zum Glück, der zu Frieden führt. Freude ist eine der Brahmaviharas 2, der edlen Qualitäten des Herzens, und sie ist einer der Faktoren des Erwachens. Es wird so wenig über sie gesprochen, sehr viel dagegen über Leiden. Wir sprechen auch viel über Metta, über Mitgefühl, über Gleichmut, aber das Element der Freude wird in unserer Erfahrung und unserer Praxis ein wenig gering geschätzt, als etwas, was später kommt. Ich finde Freude so wichtig auf unserem Weg, auf dem wir wirklich oft gefordert sind, uns mit vielen Schichten von Schwierigkeiten, Kämpfen und Angst in uns selbst und in der Welt auseinander zu setzen, ohne daran zu zerbrechen. Ohne das Kultivieren von Mitgefühl und Freude können die Schwierigkeiten uns überwältigen. In unserem Alltag, in unserer Meditation stoßen wir immer wieder auf das, was sich unvollkommen und bruchstückhaft anfühlt oder was uns Sorgen macht. Wir brauchen Freude, die unsere Achtsamkeit ausbalanciert und uns daran hindert, unsere Schwierigkeiten zu übertreiben. Freude macht das Herz leicht, sie bringt Zufriedenheit und inneren Raum, sie ist Teil unserer Fähigkeit, uns von allen Dingen berühren zu lassen. Sie ist ein Zustand, der von anderen Zuständen nicht getrennt ist, sie kann gleichzeitig mit Traurigkeit und Sorgen in uns sein. Buddha sagt im Dhammapada 3: Lebe in Freude und Liebe auch unter Hassenden, lebe in Freude und Zuversicht auch unter Bekümmerten, lebe in Freude und Frieden auch unter denen, die Sorgen haben. Buddha spricht da auch vom Zorn, den Kümmernissen, den Sorgen in uns selber und schlägt vor, auf unserem Weg Stille und Freude zu pflegen. Buddha spricht von verschiedenen Arten der Freude: von sinnlicher Freude, von Erbarmen, von Entzücken, von altruistischer Freude, der Freude der Zufriedenheit und der Dankbarkeit, und schließlich von der Freude des erwachten Herzens. Jeder Augenblick ist ein Augenblick der Möglichkeiten, und unser Herz und unser Geist leben in und mit diesen Möglichkeiten. Dieser Geist, dieses Herz, die das Potential haben, soviel Verwirrung, Kampf und Qual zu erleben, sind genau derselbe Geist und dasselbe Herz, die tiefe Ebenen der Freude erreichen können. In unserer Praxis können wir uns bewusst machen, welche Faktoren diese Fähigkeit unterdrücken. Diesen offenen inneren Raum von Freude zu schaffen, daran können wir arbeiten. Freude hat Wurzeln, mit denen wir vertraut sind. Eine davon ist Metta, uneingeschränkte Freundlichkeit. Metta erzeugt ein Gefühl des Verbundenseins anstelle von Abkehr, Furcht und Abneigung – das sind Faktoren, die Freude unterbinden und die Tore unserer Sinne verschließen, sodass unser Herz nicht berührt werden kann. Freude beginnt mit dem bewussten Kultivieren der Bedingungen für Freundlichkeit, für Nicht-Verletzen, für Fürsorge. Im Dhammapada spricht Buddha vom disziplinierten Herzen, das durch Freude einladend wirkt. Um was geht es bei dieser Disziplin? Sicher nicht um Anweisungen und Druck, sondern darum, wie wir von Augenblick zu Augenblick lernen, unseren Geist geneigt zu machen, der Fülle jeden Moments zu begegnen. Eine Dimension von Freude ist Sinnesfreude, die sich deutlich von sinnlichem Verlangen unterscheidet. Es geht um unsere Fähigkeit, wert zu schätzen, uns berühren zu lassen. Viele Meditierende im Westen haben solche Angst, sich an Begierden zu binden, dass sie es nicht wagen, sinnliche Freude zu genießen. Dabei kann z.B. das Genießen von Natur ein starker Verbündeter in unserer Praxis sein. Den Himmel, die Luft auf unserer Haut, den Wind in den Bäumen bewusst zu empfinden, wird uns nicht zu einem Leben in Samsara verurteilen. Es geht um die Fähigkeit, uns berühren zu lassen. Nicht fest zu halten, uns nichts aneignen zu wollen, sondern einfach da sein, dem Schönen zu begegnen und zu wissen, dass es einen Einfluss hat, dass es etwas ist, woran wir uns erinnern können. Wenn wir Augen und Ohren öffnen, uns anrühren lassen, können wir manchmal in der größten Einfachheit Glück im Herzen spüren.
Bei der Meditation kann in einem Zustand intensiver Konzentration tiefe Freude aufkommen, Erbarmen mit uns selbst und anderen, oder auch Entzücken. Buddha hat deutlich gewarnt, solche Zustände anzustreben; sie entstehen und vergehen unter bestimmten Bedingungen wie alle anderen Zustände. Das macht sie aber nicht wertlos. Einer der Gründe, warum Menschen Retreats besuchen, liegt darin, dass sie uns einen kurzen Blick auf Freude, Wohlbefinden und Glück, die in unserem Inneren entstehen, möglich machen. Freude, die nicht darin besteht, etwas zu bekommen, nicht darin, etwas loszuwerden oder etwas zu kontrollieren. Dieser direkte Blick auf die Freude, die in uns selbst entstehen kann, verändert unsere Beziehungen zu Menschen und zu unseren Erfahrungen. Wir sind dann nicht länger Geisel der Bedingungen, die uns umgeben, und schlagen uns nicht durchs Leben wie hungrige Wölfe, die immer auf etwas warten, was uns froh und glücklich machen soll. Qualitäten von Freude sind Wertschätzung und Dankbarkeit. Dafür, dass Menschen mit uns in Verbindung stehen, sich um uns kümmern, überhaupt für die vielen Menschen in unserem Leben, auch für die schwierigen. Die Wertschätzung für alle diese Menschen ist eine Praxis des gegenwärtigen Augenblicks: wir sind hier, im einzigen Leben, in dem wir leben, dem einzigen Augenblick, den wir bewohnen können. Hier haben wir die Wahl, wo wir uns niederlassen wollen: in Ärger, Neid, Vorwürfen und Scham, oder in unserer Fähigkeit, still, freundlich und wertschätzend zu sein. Wertschätzung ist auch eine innere Qualität uns selbst gegenüber. Wir können so verurteilend uns selbst gegenüber sein, was unsere Praxis und unsere Entwicklung betrifft. Wir können unsere Zeit aber besser nutzen als für Selbstvorwürfe. Neben dem Auf und Ab unserer Erfahrungen gibt es etwas, was wir tief wertschätzen sollten: unseren eigenen Einsatz und unsere Hingabe an die Praxis. Der menschliche Geist hat eine Neigung dazu, sich auf das Unvollkommene zu konzentrieren, festzuhalten, was falsch läuft, was fehlt. Aus der Sicht der Evolution war das überlebenswichtig; aber wir sind jetzt nicht in einer Situation, wo der Tiger vor der Tür sitzt. Wir sollten lernen, besser wahrzunehmen, was an uns und anderen gut ist. Wir können das Empfangen und Geben üben, eine Art inneren Wohlbefindens, auch in Schwierigkeiten. Wenn es uns gut geht, verdanken wir das immer auch der Freundlichkeit und Großzügigkeit anderer Menschen. Freude hat mit dem Wissen zu tun, was es bedeutet, in der Gegenwart präsent zu sein. Das ist kein Klischee. Es bedeutet, rückhaltlos zu leben und wert zu schätzen, was dabei herauskommt. Wenn unsere Praxis sich vertieft, stellen wir fest, dass nicht alles, was uns bisher bedrängt und geängstigt hat, gleich bleibt. Vielleicht werden wir weniger ungeduldig, weniger urteilend, weniger frustriert. All das gilt nicht immer, es ist ein Prozess mit Höhen und Tiefen, aber: Dinge fallen weg. Und damit verbunden ist ein Gefühl von Freiheit und Freude. Wir lernen, den Augenblick zu befreien. Es mag die Frage entstehen, wodurch Freude behindert wird. Da ist vor allem die Geschäftigkeit unseres Geistes. Was wir an unserer Praxis alles verändern wollen: es ist fast überwältigend, wie viel wir da zu tun haben: weniger Gier, weniger Zorn… So viele Ziele ersticken unsere Fähigkeit, uns zu freuen. Wenn wir Ziele haben und verfolgen, brauchen wir uns nicht die Frage zu stellen: wer bin ich eigentlich? Unser Leben lässt sich füllen mit Plänen, Projekten, Voreingenommenheiten und fixen Ideen. Wir können aber lernen, dass wir dazu nicht lebenslänglich verurteilt sind. Es ist eine Art von Überfüllung, und wir können lernen, mehr Leere zu schaffen. Nicht die täglichen Anforderungen des Lebens hindern uns an der Freude. Ich denke, es sind vielmehr die Obsession und die Gier. Beiden gemeinsam ist Erregung. Sie herrscht, wenn wir auf der Suche nach Lösungen und Antworten obsessiv dieselben Gedankenschleifen wiederholen. Obsession spielt sich im Inneren ab, während Gier die Erregung nach außen richtet. Gier ist eine Obsession, die um das Objekt unserer Begierde kreist, sei das eine Meditationserfahrung oder ein zweiter gefüllter Teller beim Mittagessen. In solchen Momenten kann ich mich fragen: gibt es hier Freude, oder wird Freude gehindert? Freude ist nicht ein bestimmter Zustand, sondern wachsendes Verständnis dafür, was uns im Weg steht. Wir sind nicht lebenslänglich zu Obsession und Gier verurteilt. Praxis hilft uns, die Erregung zu dämpfen. Der wichtigste Aspekt von Freude ist: sie kann eine Welt in Frage stellen, die auf Ablehnung und Gier aufgebaut ist, sie kann die Enge in Frage stellen, die in unserem Geist durch dessen Erregung entsteht.
- Christina Feldman ist Lehrerin der Vipassana-Tradition und Mitbegründerin von Gaia-House in England. Sie lehrt Einsichtsmeditation seit 1976 und engagiert sich im Dialog von kognitiven Therapien und Buddhismus. Der englische Text findet sich auf www.dharmaseed.org/teacher/44/talk/21817/20131114. Er ist unter einer Creative Commons 3.0 License verfügbar. Für die Übersetzung: Evamaria Glatz ↩
- zu Brahmaviharas s: http://de.wikipedia.org/wiki/Brahmavihara ↩
- Der Dhammapada ist eine frühe Anthologie von Aussprüchen des Buddha, s.: http://de.wikipedia.org/wiki/Dhammapada. Eine deutsche Übersetzung findet sich unter: http://www.dhammapada.de/ ↩