Religionen-Bashing ist Gewalt

Säkulare Buddhisten können viele Inhalte von Religionen nicht nachvollziehen. Agnostisches Denken fordert den Beweis, wartet ab, bis Erfahrung und Argumente überzeugend sind. Wir berufen uns gerne auf die Wissenschaft, für die Götter, Seele oder Jenseits nicht messbar sind. Wie können sich säkulare Buddhisten dann zur Religion– viel wichtiger – zu religiösen Menschen stellen? Sollten wir andere vom säkularen Weg überzeugen, indem wir den agnostischen Blick auf die Welt verkünden? Als säkularer Buddhist schaue ich auf die Funktion von Religion für den einzelnen Menschen. Auch aus der Wissenschaft heraus verstehe ich, warum der Buddha das Missionieren verboten hat. Vor allem aus den USA kommt in diesen Tagen ein regelrechtes „Religionen-Bashing“. Der Umgang ist aggressiv. In den USA ist das lebenswichtig, weil christliche Fundamentalisten in allen Teilen der Gesellschaft anderen ihren Glauben aufzwingen wollen. Fundamentalisten leugnen Realität, bekämpfen wissenschaftliche Erkenntnis und Wissenschaftler und schrecken auch vor physischem Terror nicht zurück. Amerikaner stehen vor diesem Hintergrund als Handelnde in einem Akt der Selbstverteidigung. In Europa geht es (noch?) friedlicher zu. Es wäre deshalb wichtig, wenn wir in Europa eine europäische Beziehung zu Religionen pflegen, die amerikanische Sicht nicht zu unserem Maßstab machen. In Europa haben sogar Theologen Konzepte entwickelt, die wissenschaftliche Erkenntnis und Glauben zusammen bringen. Ein Beispiel dafür ist die „permanente Schöpfung“, Lehrmeinung in der katholischen Kirche, die Evolution in ein komplexes Weltbild stellt und damit die wissenschaftliche Erkenntnis sogar begrüßt. Welchen Standpunkt können säkulare Buddhisten zur Religion und zu gläubigen Menschen einnehmen? Physisch „wissenschaftlich“ ist Religion ein starker Mechanismus zur Stressdämpfung. Sie erlaubt Menschen Unveränderbares zu akzeptieren, Vertrauen zu haben, schafft Werte für ein Miteinander der Menschen und sorgt für ein häufig heilsames Gruppengefühl. Tests zeigen, dass religiösen Menschen spontan mehr Vertrauen geschenkt wird, ohne sie persönlich zu kennen. Religion kann stillschweigendes Übereinkommen für Werte schaffen, was richtig, falsch, gut oder schlecht ist. Das allgemein gesenkte Stressniveau führt auch dazu, dass religiöse Menschen im Durchschnitt gesünder sind, als nicht-religiöse Menschen. Das ist keine schlechte Sache. Das Forschungsfeld der Neurotheologie zeigt, dass die Gehirne religiöser Menschen denen von Meditierenden überraschend ähnlich sind. Gebet und Glauben verschafft also objektiv messbare Eigenschaften, die biologisch, psychisch und sozial vorteilhaft sind (Newberg & Waldman 2012). Ich sehe deshalb „wissenschaftlich begründet“, dass der Satz „Es gibt keinen Gott“ für religiöse Menschen einen Akt der Gewalt darstellt. Er entzieht ihnen einen wichtigen Mechanismus, mit dem sie ihre Beziehung zu sich und anderen Menschen auf sichere Beine stellen. Wird das zerstört, werden sie orientierungslos. Ohne Glauben bleiben Stressanfälligkeit, ein geschwächtes Immunsystem, also Angst und Krankheit.Eroberer und Kolonialisten haben nicht umsonst die Religion der Eroberten zerstört und ihre eigene aufgezwungen. Die Forschung zeigt uns heute die biologischen Mechanismen, die „Bekehrung“ in ein Licht von Gewalt und Machtausübung stellen. Tatsächlich gelten die wissenschaftlichen Erkenntnisse auch für die „Selbstbekehrung“, also das eigene und freiwillige Verlassen der Religion, aus welchen Gründen immer. Für solche Menschen, auch im säkularen Buddhismus, fällt die Religion als biologischer Mechanismus aus. Was dabei geschehen kann, zeigen vor allem auch religiöse Konvertiten auf. Sie sind häufig radikaler, fundamentalistischer und scholastischer als solche Menschen, die in eine Religion hineingeboren sind. Auch im Buddhismus gibt es manchmal aggressive Diskussionen zwischen den verschiedenen Gruppen. Die Verteidigung des neuen und noch unsicheren Stressdämpfungsmechanismus kann persönlich lebenswichtig sein. Auch säkulares Denken muss deshalb als Prozess entstehen, durch wachsende Einsicht und Überzeugung. Die Religion muss konstruktiv ersetzt werden, denn alle Menschen brauchen die Wirkungen, die traditionell aus Religion bezogen werden. Im säkularen Buddhismus haben wir andere Möglichkeiten, zum Beispiel Meditation, Vertrauen in die Erkenntnis, ein positives Menschenbild. Der achtfache Pfad, den uns der Buddha überliefert hat, kann die Stress lösenden Mechanismen der Religion aus dem Bewusstsein heraus ersetzen. Religion und Glauben bei einem Menschen ersatzlos zu bekämpfen und zu zerstören kann das nicht. „Religionen-Bashing“ hinterlässt Verletzte. Ich bin überzeugt, auch deshalb hat der Buddha das Missionieren verboten. Seine Einsicht entdecken wir mit der Wissenschaft neu, als Anleitung zur Gewaltfreiheit. Nun gibt es objektiv viele Gründe, weshalb Religion eine Illusion ist, wie der Buddha vielleicht sagen würde. Religion sieht sich „ewig gültig“, doch der Buddha hat alles Ewige abgelehnt, als Illusion und „Anhaftung“. Können wir dann religiösen Menschen noch auf Augenhöhe begegnen, befinden wir uns vielleicht sogar in der Gefahr, uns über andere Menschen zu erheben, als Träger einer „höheren Einsicht“? Eine klare Warnung sind die häufig aggressive und herablassende Sprache, der Hass gegen Religion und die Menschen, die wir in vielen atheistischen Zirkeln sehen. Die Sprache erinnert allzu oft an dieselbe Sprache aus dem religiösen Fundamentalismus, den es leider auch in buddhistischer Färbung gibt. So geht es nicht auf dem achtfachen Pfad, das ist „unbuddhistisch“. Für den säkularen Buddhismus ist die Wissenschaft sehr wichtig. Wissenschaftliches Denken kann auch unsere Beziehung zur Religion gewaltfrei und zu einem positiven Miteinander führen. Wir wissen, dass Menschen in ihrer Religion und Weltanschauung nicht durch intellektuelle Argumente bestimmt werden, sondern durch Gefühle von Vertrauen, Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Säkulare Buddhisten beziehen diese Gefühle aus dem Verstehen der menschlichen Natur. Weil „Religionen-Bashing“ diese Natur verletzt, kann das unser Weg nicht sein. Ich bin übrigens ein „Hardcore-Naturwissenschaftler“. Mein Weg zum säkularen Buddhismus hat über 30 Jahre gedauert. Mein alter Meditationslehrer hat mir in den späten 70er Jahren auf den Weg gegeben: „Es gibt keine Religion und keine Götter. Du musst Dir aber viele Jahre Zeit nehmen, dann verschwinden sie von allein. Wenn Du dabei zu große Schritte machen willst, fügst Du Dir schweren Schaden zu.“ Ich habe mich daran gehalten. Heinz Hilbrecht www.fuhrmann-hilbrecht.de www.facebook.com/heinz.hilbrecht Literatur Newberg, Andrew, Mark Robert Waldman. Der Fingerabdruck Gottes: Wie religiöse und spirituelle Erfahrungen unser Gehirn verändern.

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