Wenn ich durch Wiens winterliche Straßen gehe, bin ich oft in Gedanken, und manchmal trage ich Taschen in den Händen. Da kauert dann so eine Person am Gehsteig oder auf den Stufen zur U-Bahn. Eine Zumutung. Soll ich stehen bleiben? Meine Gedanken unterbrechen, meine Taschen abstellen, nach Münzen suchen – hab ich überhaupt Kleingeld? Wie viel soll ich geben? Besonders peinlich ist es mir, vor den Augen einer Bettlerin herumzukramen. Manchmal geh ich ein paar Schritte weiter, suche einen Euro und kehr damit noch einmal um. Manchmal geh ich vorbei und hab ein schlechtes Gewissen. Was passiert da? Erst einmal: jemand nimmt unerwartet Kontakt mit mir auf. Es kann passieren, dass ich mich gleich einmal in die Defensive gedrängt fühle. Wie ich reagiere, ist da nur zum Teil meine freie Entscheidung. Dann schau ich: ein Mann oder eine Frau? – Frauen kriegen eher was von mir. Wie ist sie gekleidet? Worauf sitzt sie? Ist er/sie mir auf einen kurzen Blick sympathisch? Schwieriger wird es noch, wenn verbal oder nonverbal an mein Mitleid appelliert wird. Dann fange ich leicht zu rechnen an: der will nur Geld von mir – ist er das „wert“? Gehört er vielleicht einer organisierten Gruppe an? Das sind so die Fragen der Europäerin, die erst in den letzten Jahren im Alltag auf Bettler und Bettlerinnen trifft, und die diese noch ungewohnte „Zumutung“ rational zu bewältigen versucht. Ganz schön viel Entscheidungsdruck für eine einfache Bitte! Und Buddhistin bin ich auch, und in dem Fall ist es egal, ob säkular oder nicht. Es geht um Dana, um freiwilliges, absichtsloses Geben. Der Mensch da fordert mich auf, für kurze Zeit mein Herz zu öffnen. Ob er/sie dabei berechnend ist, kann für mich sekundär bleiben. Das „Alles Gute!“, das ich nach einer Gabe meist zu hören bekomme, hört sich manchmal mechanisch an, manchmal sehr freundlich – dann ist es ein Geschenk für mich, und es war eine kleine Begegnung. Ich will in Zukunft für solche Fälle in der Manteltasche Münzen bei mir tragen, um mir das Kramen zu ersparen. Und, wichtiger: wie auch immer ich auf die Frau oder den Mann vor mir reagiere: mir bewusst machen, was ich da tue, und vielleicht auch, warum.