Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass der Dalai Lama empfiehlt, jedes Jahr an einen unbekannten Ort zu reisen. In Australien war ich zwar früher schon, aber auch bei meinem jetzigen Aufenthalt ist vieles noch neu und frisch. Dass die Menschen englisch sprechen und die Autos auf der anderen Seite der Strasse fahren, versteht sich. Aber da gibt es noch viele Dinge, die anders sind als gewohnt.
Das gruene Gras hat einen Stich ins Gelbliche. Manche Lebensmittel – auch bekannte wie Kartoffel – schmecken anders als bei uns. Auch in Staedten fliegen, laut kraechzend, kleine und grosse Papageien. Wenn man zur Brutzeit mit dem Fahrrad zu nah am Nest eines Magpies – das ist ein elsternartiger Vogel – vorbeifaehrt, kann es einem passieren, dass man mit lautem Gekreisch und Schnabelhieben attackiert wird. Eukalyptusbaeume werfen nicht die Blaetter ab, sondern die Rinde. Wenn die Menschen von schlechtem Wetter reden, meinen sie grosse Hitze, und alle freuen sich, wenn es regnet. Im Meer kann man nicht gut schwimmen: die Brandung ist meist zu stark, dafuer gibt es ueberall Pools, und Lagenschwimmen ist Volkssport. Es gibt ganz viele gepflegte oeffentliche Toiletten (ein Segen fuer TouristInnen!). Die Tastaturen der Computer sind anders (wie man an diesem Text sehen kann). Die Menschen auf der Strasse, im Bus und in Geschaeften sind so freundlich, dass frau – an grantige Wienerinnen und Wiener gewohnt – es anfangs kaum glauben kann. Ins Gespraech zu kommen ist sehr viel leichter als bei uns. Frau braucht mehr Aufmerksamkeit und bekommt einen frischen Blick. Manches macht Angst, und Manches macht locker; weniger Dinge als zu hause sind so selbstverstaendlich, dass sie gar nicht bedacht oder erwaehnt werden. Wo er recht hat, hat er recht, der Dalai Lama.
Liebe Evamaria,
schön von Dir zu hören – auch wenn Du im Moment soooo weit weg bist.
Klar kann man als gestandener Mitteleuropäer den Weihnachtsblues bekommen,
wenn man den Dezember in der südlichen Hemisphäre verbringt:
die Jahreszeiten stehen Kopf, Weihnachtsparties sind Grillparties in Sommerhitze
am Strand, und weit und breit kein Schnee oder Weihnachtsbaum (außer aus Plastik…)
Aber ohne Flachs, die meisten Rituale, die ich kenne, sind kulturell, zeitlich oder räumlich
sehr begrenzt. Meistens sind sie, dem Zeitgeist entsprechend, auch noch
von Kommerz überlagert.
Vielleicht macht es Sinn, sich auf die Grundlagen dieser Rituale zu besinnen,
wie das Vergehen der Zeit, z.B. (Jahresende, Jahreszeiten, Winter-Sommersonnenwenden,
Mondphasen – so wie die Thera vadins, zum Beispiel).
Oder die Fragilität des Lebens (Angstabwehr): zu erkennen und zu würdigen,
wie sehr wir aufeinander angewiesen sind, und dies mit einem Fest mit
Freunden und Fremden zu feiern.
Ein Lichterfest am besten, ob das nun Weihnachten oder Chanukkah oder sonstwie heisst –
Es ist sicher auch keinem säkularen Menschen verboten, einen Weihnachtsbaum
aufzustellen (- es sei denn, es täte ihm der kleine Baum leid, der dazu umgesägt
werden muss—)
Und als Text schlage ich vor, dass man die Geschichte vom Unterschied zwischen
Himmel und Hölle verliest:
du weisst schon, die, in der die Menschen im „Himmel“ gelernt ha ben,
sich gegenseitig zu füttern (obwohl sie unter den gleichen schlechten Bedingungen
leben müssen wie die Menschen in der „Hölle“).
In diesem Sinne,
eine gute Dezemberzeit
Paula
(und hier fängt es gerade an zu schneien!)
danke für Deinen Kommentar, der sich wohl auch auf den Beitrag über die (Weihnachts)rituale bezieht. Hier kommt die Geschichte vom Unterschied zwischen Himmel und Hölle, auf die Du anspielst, für die Leserinnen und Leser, die sie nicht kennen:
Ein Rabbi bat Gott einmal darum, den Himmel und die Hölle sehen zu dürfen. Gott erlaubte es ihm und gab ihm den Propheten Elia als Führer mit. Elia führte den Rabbi zuerst in einen großen Raum, in dessen Mitte auf einem Feuer ein Topf mit einem köstlichen Gericht stand. Rundum saßen Leute mit einem langen Löffel und schöpften alle aus dem Topf. Aber die Leute sahen blass, mager und elend aus. Denn die Stiele ihrer Löffel waren viel zu lang, sodass sie das herrliche Essen nicht in den Mund bringen konnten. Als die Besucher wieder draußen waren, fragte der Rabbi den Propheten, welch ein seltsamer Ort das gewesen sei. Es war die Hölle. Daraufhin führte Elia den Rabbi in einen zweiten Raum, der genau aussah wie der erste. In der Mitte des Raumes brannte ein Feuer, und dort kochte ein köstliches Essen. Leute saßen ringsum mit langen Löffeln in der Hand. Aber sie waren alle gut genährt, gesund und glücklich. Sie versuchten nicht, sich selbst zu füttern, sondern benutzten die langen Löffel, um sich gegenseitig zu essen zu geben. Dieser Raum war der Himmel!
Die „Moral von der Geschichte“ gilt jedenfalls nördlich und südlich des Äquators und zu allen Jahreszeiten: Metta.
schönen Gruß, jetzt wieder aus dem vorweihnachtlichen Wien
Evamaria
jo Evamaria,
der Text war als Antwort auf die Rituale-Diskussion gedacht –
offensichtlich hat mich der Stress meines ersten blog-Beitrages auf die
Gegenfahrbahn gebracht ; siehe: Linksverkehr.
Und auf eine gewisse weise passt es doch auch zum Thema Perspektivwechsel.
Möchte ergänzen, dass ich mich dem Thema Rituale, insbesondere religiöse Rituale,
nur sehr zögerlich nähere, was sicher mit einer Überdosis kirchlicher Rituale
in der Kindheit aufgrund katholischer Erziehung zusammenhängt.
Dem Buddhismus habe ich mich dann folgerichtig in seiner schlichtesten Form,
dem japanischen Zen, genähert.
Wie sehr ich Ritualfreiheit als „Freiheit“ erlebe, ist mir erst nach einem
Gespräch mit einer buddhistischen Freundin klargeworden, die aus der
evangelischen (puritanischen) Tradition kam, und folgerichtig
von der ritualreichen tibetischen Buddhismustradition angezogen wurde.
Sie empfand Rituale als lebendig und warm, nicht einengend wie ich.
Mittlerweile sind wir beide auf der Suche nach einer stimmigen Form,
einer Form, die diese Gegensätze transzendiert.
Buddhismus ist für mich eine (und vielleicht die einzige) Weltreligion,
weil er inklusiv und nicht eurozentrisch ist (im Gegensatz zu Christentum,
Islam oder Hinduismus).
Um das zu bleiben heißt das für mich, dass er (und seine Rituale,
sofern sie denn überhaupt notwendig sind)
für alle verständlich und akzeptabel sein müssen,
also für die Leute mit „Linksverkehr“ wie mit „Rechtsverkehr“.
Universell gültige und verständliche Rituale zu finden ist sicher
eine Herausforderung.
Vielleicht ist es eine besondere Aufgabe für den säkularen Buddhismus.
Wünsche Dir und allen Lesern
eine gute Zeit
Paula
PS: habt Ihr hier so etwas wie die erste deutschsprachige
internet-sangha gestartet??