Du bist nicht ein Tropfen im Ozean, sondern der Ozean in einem Tropfen

ein-tropfen-im-meer-b44e2d6f-095f-41b3-b283-a0067f05c14eVier Aufgaben haben wir zu bewältigen, sagt uns Stephen Batchelor, und die vierte ist es, einen Pfad zu gehen: in jedem Augenblick so voll zu leben, wie es uns möglich ist. Winton Higgins nennt es: aus der menschlichen Bedingtheit das Beste machen.

In unserem Alltag sind wir gefragt, und dabei nicht nur bei dem, was wir in unserer Privatheit so denken und tun. Es geht auch um unser Handeln als Bürgerinnen und Bürger; selbst wenn wir das wollten, können wir den Blick darauf nicht abschalten. An vielen Orten der Welt sieht es düster und immer düsterer aus, in den Medien jagt eine grauenhafte Meldung die andere; man könnte verzweifeln oder stumpf werden vor lauter Entsetzen. Oft scheint es, als bliebe uns als hilflosen Zuseherinnen und Zusehern am Rande nur stummes Gelähmtsein, während Moloche aus Gewalt, Ausgrenzung, Umweltvernichtung, Gewinnsucht und Entpersönlichung um uns herum immer mächtiger werden.

Es gibt Frauen und Männer, die das anders sehen und die gegen die Lähmung handeln; um solche Menschen, ihre Gedanken und ihre Projekte geht es hier. Während meines Aufenthalts in Australien vor ein paar Wochen konnte ich das Festival UPLIFT – We are one besuchen1. Da haben sich – im besten Sinn des Wortes – die Richtigen zusammengefunden. Lauter „Gutmenschen“, oder auch „die üblichen Verdächtigen“ – wie wohltuend: Ein paar hundert Leute aus vielen Ländern der Welt, Alte und Junge mit vielen Kindern, Menschen aller erdenklichen Hautfarben, in Rollstühlen, auf einem oder zwei Beinen, Vertreter indigener Gruppen, Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit grünen oder braunen oder ohne Haare, lesbisch, hetero oder schwul, haben vier Tage lang geredet, zugehört, gegessen und getrunken, meditiert, Musik gemacht oder sonst was.

Charles EisensteinGespannt zugehört habe ich Charles Eisenstein2. Er sprach davon, wie bis vor etwa einer Generation für uns Menschen der Mythos des Fortschritts, des unaufhörlichen Wachstums von Technologie und Wirtschaft selbstverständlich gewesen sei: es sei nur mehr eine Frage der Zeit gewesen, bis wir uns die Erde untertan gemacht haben würden. Die letzten Jahrzehnte hätten aber einen Wandel eingeleitet: die Menschen würden langsam verstehen, dass ihre Aufgabe nicht darin liegt, die Natur zu bändigen, sondern sich als einen Teil von ihr zu verstehen und danach zu handeln. Er sprach davon, wie uns durch Ökonomisierung aller Lebensbereiche eingeredet worden sei, wir seien voneinander getrennte und gleichzeitig austauschbare Wesen; wir könnten und müssten alles kaufen, wo wir doch darauf ausgelegt seien, einander zu beschenken. Indem wir eine Kultur des absichtslosen Gebens pflegen, könnten wir neu verstehen, wie sehr wir alle miteinander verbunden und damit füreinander und für die Welt unverzichtbar seien.

Kennt ihr den Conscious Club3? Er ist uns dort in Byron Bay vorgestellt worden. Auf dieser australischen Website wird zusammengetragen, auf welch unterschiedliche Arten Menschen auf verschiedenen Ebenen bewusst miteinander aktiv sind und werden: Unzählige Aktivisten und Wissenschafterinnen engagieren sich unter dem Slogan There is no planet B für wirksame Maßnahmen gegen die Erderwärmung, die indische Wissenschafterin Vandana Shiva mobilisiert Tausende für Biodiversität, die Erhaltung indigenen Saatguts und gegen gentechnische Veränderungen4, vandana shivadie Garbage Warriors 5 bauen energie-autarke Häuser aus Abfall wie alten Autoreifen und leeren Plastikflaschen, die Leute von The Rolling Jubilee 6 kaufen Schulden auf, um sie durch gezielte gegenseitige Hilfe abzubauen, im Königreich Bhutan wird am Brutto-Nationalglück gearbeitet7, Seashepherds 8 kümmern sich um die Erhaltung der Meere und der Lebewesen, die sie bewohnen… Alle orientieren sich an der afrikanischen Weisheit: Wenn ihr schnell gehen wollt, geht allein – wenn ihr weit gehen wollt, geht gemeinsam. Wir alle sind ermutigt worden, in unserem Umfeld und unter unseren Lebensbedingungen genau das zu tun. Beim Uplift-Festival haben Vertreter indigener Gruppen aus New Mexico und Australien ein Abschlussritual mit uns Teilnehmerinnen und Teilnehmern gestaltet, bei dem unsere Wünsche für die Welt und unser Miteinander Platz hatten. Nach den Vorträgen und Workshops gab es auch viel Musik; wir wollten nicht nur in den Gehirnen, sondern auch in unseren Herzen Verbindungen schaffen. Zurück in Österreich: es gibt bei uns viele Projekte in demselben Geist des MIteinanders, der uns so notwendig ist und nach dem wir uns sehnen. Zwei kenne ich aus längerer Erfahrung.

Ute Bock9 ist pensionierte Sozialarbeiterin und Erzieherin in Wien. Als sie noch berufstätig war, hat sie sich bei Behörden unbeliebt gemacht, indem sie unbekümmert um Aufenthaltsrechte in dem Lehrlingsheim, das sie leitete, Menschen aus aller Welt Unterkunft, Essen, Beratung und Sprachkurse anbot oder vermittelte. Ich kaute bocknn die doch nicht einfach auf der Straße lassen, das geht doch nicht, sagt sie unsentimental und pragmatisch. In dem Haus, in dem sie auch selber lebt, wohnen hundert Menschen aller Hautfarben mit jeder Menge Problemen. Auf ihre Initiative ist rund um sie ein kompetentes Hilfs-Netzwerk entstanden, das von Spenden getragen wird. Jede Art von Unterstützung ist willkommen10.

Sagt euch die Abkürzung CSA etwas? Durch Community Supported Agriculture11 soll eine unmittelbare Verbindung zwischen Bauern und Konsumentinnen geschaffen und gepflegt werden. Wer sich einer solchen Gemeinschaft anschließt, weiß nicht nur, wo und wie sein hochwertiges Obst und Gemüse gezogen wird, sondern kann und soll sich auch persönlich einbringen: durch Mithilfe am Feld, beim Verpacken und an den Marktständen, durch seine Stimme bei regelmäßigen Versammlungen, in denen Rechenschaft gelegt und ein fairer Preise vereinbart wird, und beim Erntedank-Feiern.

Wenn jetzt jemand sagt: das sind doch ganz unterschiedliche Projekte, du schreibst hier über Kraut und Rüben, würde ich antworten: c’est la vie. Überall hier und an vielen anderen Orten besteht Bedarf an gemeinschaftlichem Handeln mit Herz und Hirn.

Der Kongress: Gutes Leben für alle findet von 20.-22. Feber 2015 in Wien statt. In der Ankündigung ist zu lesen:

Worum geht’s?

Seit Jahren gibt es eine blühende Avantgarde, die Wirtschaft und Gesellschaft neu denkt und lebt: Von Energiegenossenschaften, engagierten Gewerkschaftsinitiativen, Social Entrepreneurs bis hin zur Commons-Bewegung und alternativen Finanzinstitutionen gibt es mittlerweile eine Vielfalt an Initiativen, die Alternativen Wirklichkeit werden lassen.

In vielfältigen Experimenten wird allerorten nach Lösungen gesucht: Innovationen im Kleinen und vor Ort schaffen Nischen des Probehandelns für lokale und biologische Landwirtschaft und entlarven Sachzwänge als mächtige, aber letztlich sozial konstruierte Lernblockaden; neue Eigentums- und Nutzungsformen entwickeln sich gegen die zunehmende Ausbeutung und Aneignung begrenzter Ressourcen in einer auf Gewinn und Wachstum ausgerichtete Ökonomie; innovative Kollektivvertragsvereinbarungen reagieren auf die zunehmend ungleiche Verteilung von Arbeit, Reichtum und Lebenschancen.

Gleichzeitig erscheint der politische, gesellschaftliche und mediale Mainstream davon noch weitgehend unbeeindruckt: Weder die aufgrund des Klimawandels zunehmenden Naturkatastrophen noch besorgniserregende Berichte über die Sozialsysteme in Südeuropa haben zu einem Umdenken in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik geführt.

Der Kongress erkundet, wie ein gutes Leben nicht nur für wenige, sondern für alle möglich wird. Es gilt auszuloten, wie Neues gesellschaftlich anknüpfungsfähig und selbstverständlich werden kann. 12

Hier geht es – in der Terminologie des 21. Jahrhunderts – um die Erforschung der Pfade, die wir, wie Gotama Siddharta lehrte, mit Sorgfalt und Fürsorglichkeit gehen sollen.

Evamaria Glatz[13. Der Titel des Beitrags stammt von dem persischen Dichter und Sufi-Meister Rumi

  1. http://www.upliftfestival.com
  2. Charles Eisenstein ist ein amerikanischer Autor und Vortragender; er nennt sich selbst einen „degrowth activist“. Zwei seiner Bücher sind: The Ascent of humanity, 2007, dt.: Die Renaissance der Menschheit, 2012, und: Sacred Economics: Money, Gift and Society in the Age of Transition, 2011, dt.: Ökonomie der Verbundenheit, 2013. Es gibt Videos mit Kurzvorträgen und Interviews auf youtube auch mit deutscher Übersetzung, z.B.: https://www.youtube.com/watch?v=5AZzBM8FVqo
  3. http://www.consciousclub.com
  4. eine berührende Neujahrsansprache für 2015 ist unter: https://www.youtube.com/watch?v=fX5jsq74fAo abrufbar
  5. Näheres auf deutsch unter: http://www.gratis-energie.com/architektur/earthships/garbage-warrior.html
  6. 6.s.:http://rollingjubilee.org
  7. s.:http://www.nachhaltigkeit.info/artikel/bruttoinlandsglueck_in_buthan_1869.htm
  8. s.:http://www.seashepherd.org
  9. Die verrückte Welt der Ute Bock ist ein Dokumentarfilm aus dem Jahr 2010 über sie und ihre Arbeit
  10. Näheres unter: http://www.fraubock.at
  11. Näheres unter http://www.ochsenherz.at – da bin ich Mitglied
  12. http://www.guteslebenfueralle.org

2 Antworten auf „Du bist nicht ein Tropfen im Ozean, sondern der Ozean in einem Tropfen“

  1. Dieser Essay erinnert mich an an meine ökologischen Pflichten, z.Bsp. daran, daß ich es noch immer nicht geschafft habe, in der Mensa Flyer anzubringen, die dazu auffordern, nur noch Fleisch von Tieren zu essen, die nicht systematisch gequält wurden.
    Und gemeinsam mit einem Tierschutzverein vor der Mensa für den Verzicht auf Fleisch aus der konventionellen Massentierhaltung zu werben. Nächste Woche werde ich in dieser Richtung endlich aktiv werden!
    Mich gemeinsam mit anderen zu engagieren fällt mir schwer, da ich kein geselliger Typ bin. Einsames Meditieren liegt mir mehr.

  2. Danke für den schönen Beitrag, Evamaria, das ist auch für mich ein immer drängender werdendes Herzensthema! Gerade eben bin ich auch über einen Artikel von Ajahn Brahm gestolpert, in dem er das aus meiner Sicht sehr treffend zusammen fasst: „Damit Buddhismus in der modernen Welt wachsen kann, müssen wir mehr tun als Meditation zu lehren, inspirierende Predigten zu halten, und Sutras online zu stellen. Wir sind gut im Studieren, Publizieren und Verbreiten der Lehren des Buddhismus. Wo wir nicht so erfolgreich waren ist das Mitgefühl und die Selbstlosigkeit des Dharma in unseren Handlungen zu zeigen. Wir haben viel mehr Worte in unseren Büchern [und Blogs] geschrieben als die wenigen freundlichen Worte, die wir mit den Armen, Einsamen und Verzweifelten gesprochen haben. Wir haben so viel mehr Tempel als Waisenhäuser gebaut.“

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