Säkulare Geschwister I: Lloyd Geering

Immer wieder spricht Stephen Batchelor davon, wie viel säkularer Buddhismus christlichen Theologen verdanke, die schon vor Jahrzehnten neue Zugänge zu ihrer Religion eröffnet haben. Die Lektüre von Paul Tillich und Dietrich Bonhoeffer habe ihn angeregt; unter unseren Zeitgenossen schätzt er Lloyd Geering sehr.Lloyd Geering Bei uns kaum bekannt, ist Geering, heute 97 Jahre alt, in seiner Heimat Neuseeland eine Art Ikone. Nach seiner Ausbildung zum presbyterianischen Geistlichen hat er mehrere Jahre lang diesen Beruf ausgeübt. In seinen Predigten versuchte er, das Leben Jesu, wie es in der Bibel erzählt wird, als Basis für ein christliches Leben zu präsentieren. „Gott“ war und blieb für ihn vor allem der symbolische Begriff für das ultimative Mysterium des Leben, wie er sagt 1. Er wurde später akademischer Lehrer; anfangs untersuchte er vor allem die Texte des Alten Testaments und interpretierte Entstehung und Inhalte aus dem historischen Kontext ihrer Entstehungszeit – das war bereits in den 1950er Jahren. Er begann, diese Sichtweise auch auf die Evangelien des Neuen Testaments anzuwenden und die Bibel nicht als unveränderliches Gotteswort, als nicht frei von Fehlern und in ihrer Entstehungszeit verwurzelt zu sehen. Er ging an die Texte aus unserer gegenwärtigen Weltsicht und mit gesundem Menschenverstand heran und gelangte bald zu der Frage: in welchen Himmel ist Jesus denn aufgestiegen? Geering begann, die Buchstäblichkeit der körperlichen Auferstehung in Frage zu stellen, und bald darauf die Unsterblichkeit der menschlichen Seele, wobei er darauf hinwies, dass diese Idee nicht aus der Bibel, sondern von griechischen Philosophen, vor allem von Platon stamme, während im Neuen Testament zu lesen sei: nur Gott ist unsterblich. Geering bedient sich einer leicht verständlichen Sprache und so wurden seine Texte auch über akademische Kreise hinaus rezipiert. In Neuseeland und darüber hinaus im englischen Sprachraum brachen in der Folge Stürme kirchlicher und öffentlicher Entrüstung los. Im Jahr 1967 strengten Hardliner ein kirchenrechtliches Verfahren wegen Häresie gegen ihn an, das allerdings schnell niedergeschlagen wurde. Da seine als ketzerisch angefeindete Aussagen zwar im Widerspruch zu kirchlichen Dogmen, aber nicht zum Stand theologischer Forschung standen, konnte er seine akademische Laufbahn als Universitätsprofessor für (inter)religiöse Studien fortsetzen. Dabei hat er nichts gelehrt, was unter Wissenschaftern nicht schon längst Allgemeingut gewesen wäre. Der Himmel ist für ihn kein Ort, sondern ein Zustand. Auferstehung bedeutet für ihn das Fortleben der Lehre Jesus. Maria ist für ihn keine Jungfrau und Jesus nicht buchstäblich der Sohn Gottes. Mit dem Begriff „Gott“ hat er sich viel beschäftigt. In dem oben erwähnten Interview sagt er:

Im Gespräch über Gott geht es um die tiefste Wirklichkeit, mit der wir uns konfrontieren können. Es geht darum, was uns am meisten betrifft – und wir wissen nicht, was das ist. Der bekannte Gott ist ein Idol. Der Gott, der definiert werden kann, ist kein Gott.

Geering hält es mit dem von ihm hochgeschätzten Pierre Teilhard de Chardin 2. In dem erwähnten Interview sagt Geering über Teilhards Gottesverständnis:

Gott sollte nicht so sehr als der Schöpfer der Welt gesehen werden, und auch nicht als die Ursache für den evolutionären Prozess. Dieser Prozess selbst, das sich entwickelnde Universum, ist (für Teilhard, E.G.) das letzte Mysterium, das Gott genannt werden kann.

Im Jahr 1980 veröffentlichte Geering das Buch„Faith’s New Age“, in dem er von der Feststellung ausgeht, dass die menschliche Kultur sich heute erheblich von jener unterscheidet, die vorherrschte, als die großen Religionen gegründet wurden. Dieser Veränderung geht er vom späten Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert nach und entwickelt dabei ein Modell dreier aufeinanderfolgender kultureller Perioden: Die erste Periode nennt er die „ethnische Phase“, während der sich viele voneinander unabhängige Kulturen aus ihrer ethnischen Identität entwickelten. Zwischen Religion und Kultur, zwischen Moral und Ritual wurde noch nicht unterschieden. Die Menschen lebten in einer von Göttern und Geistern kontrollierten Welt, die für sie Personifizierungen der Kräfte der Natur waren. Man musste ihnen gehorchen und sie gnädig stimmen. In der zweiten, der nach Geering „trans-ethnischen Phase“ trat die ethnische Identität in den Hintergrund. Religion und Kultur, Ritual und Moral wurden nun voneinander unterschieden. Drei religiöse Traditionen überschritten am erfolgreichsten kulturelle und ethnische Grenzen: Buddhismus, Christentum und Islam; bis zum Jahr 1900 war die Welt zwischen ihnen in den buddhistischen Orient, den islamischen Mittleren Osten und den christlichen Westen aufgeteilt. Aber schon vor 1900 war eine dritte Periode kultureller Evolution entstanden: Geering nennt sie die „globale und humanistische Phase“, die weder von Polytheismus noch von Theologie geprägt ist. Diese moderne Kultur verbreitet sich nun auf dem Globus – zum großen Verdruss der alten Religionen, deren traditionelle Formen sie untergräbt. Daher entstehen reaktionäre religiöse Bewegungen, die die Flut der dritten kulturellen Phase aufhalten wollen – wir kennen sie unter anderen als christlichen, muslimischen, hinduistischen Fundamentalismus. Während traditionelle religiöse Formen in der modernen Welt in Bedeutungslosigkeit versinken, eröffnen sich gleichzeitig neue Perspektiven dafür, was es heißt, religiös zu sein. Religiöses Denken und Handeln muss sich nun an dieser Welt ausrichten und nicht an einem späteren Jenseits. Daher kann Religion in dieser dritten Phase säkular genannt werden, so Geering. In diesem neuen kulturellen Zeitalter werden wir uns dessen bewusst, dass wir alle, unabhängig von Klasse, Rasse, Geschlecht, Religion oder Alter, Menschen sind. Wir entwickeln wachsendes Interesse an den Menschenrechten. Wir haben festgestellt, dass das, was für göttlich oder transzendent gehalten wurde, nichts anderes als menschliche Einschätzungen unserer Vorfahren in der Vergangenheit waren. In einem späteren Buch schreibt Geering darüber, dass das Königreich Gottes, von dem Jesus sprach, gekommen sei 3, ohne dass wir es bemerkt hätten: in der Sklavenbefreiung, der Emanzipation von Frauen aus männlicher Dominanz, der Anerkennung der Menschenrechte, der Akzeptanz der Rechte Homosexueller. Und für diese Entwicklung gäbe es ausreichend Material in den Worten Jesu, um uns zu helfen und für die Zukunft zu inspirieren. Während seines Lebens in einer sich laufend ändernden Welt habe er, Geering, herausgefunden, dass Vieles, was er aus der Geschichte des Christentums gelernt habe, ihm heute unerwarteterweise in neuem Licht erscheine. Und er zitiert dazu den christlichen Mystiker aus dem Mittelalter, Meister Eckhart:

Soll Gott gesehen werden, so muß es in einem Lichte geschehen, das Gott selbst ist.

  1. In einem informativen Radiointerview aus dem Jahr 2003 spricht er ausführlich über seine persönliche und akademische Entwicklungsgeschichte: http://www.abc.net.au/religion/stories/s1333339.htm. http://en.wikipedia.org/wiki/Lloyd_Geering gibt einen Überblick über sein Leben, seine Arbeiten und sein Wirken. Auf youTube gibt es zahlreiche Videos mit Geering in englischer Sprache.
  2. Näheres über diesen französischen Naturwissenschafter und katholischen Theologen unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Teilhard_de_Chardin
  3. Mir ist klar, dass dieser Satz angesichts des Zustands unserer Welt schwer zu verdauen ist. soldes coque iphone Ich würde Geering so interpretieren: Wir Menschen haben uns Handwerkszeug geschaffen, an diesem Königreich zu arbeiten. Dessen können und sollen wir uns bedienen. E.G.

2 Antworten auf „Säkulare Geschwister I: Lloyd Geering“

  1. Danke Evamaria für diese sehr erhellende „Kurzmitteilung“ über Lloyd Geering!!
    Ich kenne Menschen, die ihren christlichen Glauben verloren haben, aber keinen anderen Zugang zur „tiefsten Wirklichkeit“ finden konnten. Und diesem Verlust nachtrauern.
    Ihnen werde ich die Lektüre von Geering ans Herz legen.

    1. Was mir gerade noch einfällt: Die Sichtweise von Teilhard de Chardin, für den der Prozess der Evolution das große Mysterium ist, das „Gott“ genannt werden könnte, erinnert mich sehr an die Aussage von Thich Nhat Hanh, daß Buddha das ist, was die Gemeinschaft der Dharmageschwister in der Welt bewirkt.

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