Wie sind die Lehren Siddharta Gotamas in den Westen gekommen? Auf welchen Wegen haben sich Vorstellungen von „Buddhismus“ in Europa und Nordamerika verbreitet?
Europäer begannen ab der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, die Lehren Buddhas zu studieren und ihnen zu folgen. Männer wie die Engländer Bhikku Asoka (H. Gordon Douglas) und Ananda Metteyya (Allan Bennett) sowie der Deutsche Nyanatiloka (Anton Gueth) lebten und lehrten viele Jahre in Burma, Ceylon und anderen ostasiatischen Ländern als ordinierte buddhistische Mönche. Sie waren „gentleman scholars“ und fanden in Europa vor allem in akademischen Kreisen Beachtung und Widerhall. Es ging ihnen darum, mit der Präsentation von Buddhas Lehre herauszustreichen, dass diese westlicher Philosophie und Religion ebenbürtig sei; sie vertraten intellektuelle Respektabilität. Verschiedenartigkeit und Widersprüche blieben dabei vorerst auf der Strecke, vor allem aber der Blick auf die Funktion, die Buddhismus in seiner jeweiligen Gesellschaft ausüben kann und soll.
Noch vor diesen intellektuellen Mönchen hat ein Mann gewirkt, der aus einer ganz anderen Ecke kam: U Dhammaloka.
Geboren ist er in den 1850er Jahren in Dublin wahrscheinlich unter dem Namen Lawrence Carroll 1 als Sohn eines Gemüsehändlers. Er ging früh von zuhause fort und schlug sich als Landstreicher durch, gelangte per Schiff in die USA, die er als Wanderarbeiter von Ost nach West durchquerte. Von dem Schiff, auf dem er angeheuert hatte, wurde er in Japan wegen betrunkenen Randalierens runtergeworfen. In der Blütezeit der Kolonialisierung hatte er in Ostasien von vornherein keinen leichten Stand: ungebundene und arme Weisse wie er waren für die Kolonialbehörden unerwünscht, weil ihr bloßes Dasein die Überlegenheit der weißen Rasse in Frage stellte und die Grenzen zwischen europäischen Herren und eingeborenen Untertanen verwischte. Carroll kam nach Rangoon in Burma, wo er als Angestellter bei einer der Firmen arbeitete, die Tropenholz schlägerten und vermarkteten. Er war kein Analphabet, hatte aber über Lesen und Schreiben hinaus so gut wie keine formale Bildung. Vom strengen Katholizismus seiner irischen Heimat hatte er sich radikal distanziert, auf seinen Fahrten war er vertraut geworden mit den Ideen der Freidenker, die einen atheistischen Humanismus vertraten. In Burma lernte er Buddhas Lehre kennen, die dort allgegenwärtig war; um 1884 trat er als Novize in ein Kloster ein, wo er die nächste Zeit verbrachte. Nach einigen Jahren des Studiums und der Praxis, in denen er auch die Landessprache erlernte, wurde er zum Theravada-Mönch ordiniert. Im Jahr 1901 trat er erstmals öffentlich in Erscheinung: er kritisierte einen indischen Polizeioffizier, der eine Pagode mit Schuhen betreten hatte. In burmesischen Zeitschriften veröffentlichte er Anzeigen, in denen er sich scharf gegen die vielen christlichen Missionare wandte, von denen er schrieb, sie kämen mit Bibel, Schnapsflasche und Gewehr daher. Auf vielen Predigt-Reisen in Burma, in Japan, Siam, Indien, Ceylon und anderen Ländern rief U Dhammaloka, wie er nun genannt wurde, die Bevölkerung dazu auf, ihre eigene buddhistische Kultur und Religion zu bewahren. Besonders in Burma hatte er enormen Zulauf; Tausende kamen, wenn er witzig, schlagfertig und redegewandt predigte. Die buddhistische Lehre auszulegen überließ er anderen, aber er trat vehement und unerschrocken für ihren Fortbestand als Teil der nationalen Identitäten und damit implizit auch gegen die kolonialen Machthaber auf. Er hatte sich auch zum Temperenzler, also zum aktiven Gegner des Alkoholtrinkens gewandelt. Als Plattform und Sprachrohr gründete er die „Buddhist Tract Society“, wo er selbst zahlreiche Artikel und Traktate in diesem Sinn veröffentlichte. Er korrespondierte mit „Freidenkern“ in aller Welt und veröffentliche einschlägige Literatur in Burma. Im Jahr 1910, nach zehn Jahren unermüdlicher Tätigkeit, wurde er wegen Aufwiegelung angezeigt und verurteilt. Danach verliert sich seine Spur – wann und wo er gestorben ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Trotz seiner großen Bekanntheit in Ostasien, aber auch in internationalen Freidenker-Kreisen während seiner Wirkungszeit von 1900-1910 ist U Dhammaloka für Jahrzehnte auch für Historiker fast ganz in Vergessenheit geraten. Die Fachleute, die in den letzen Jahren begonnen haben, sich mit seiner Person zu beschäftigen, halten das für keinen Zufall: Zu groß ist die Diskrepanz zwischen U Dhammalokas engagiert-pragmatischem Einsatz als Buddhist in der gesellschaftlichen Situation, die er vorgefunden hatte und dem hehren, weltabgewandten Bild von Buddhas Lehre, das akademische Mönche der Welt vermittelt haben und das bis heute in westlichen Buddhistinnen und Buddhisten nachwirkt. Vor einigen Jahren haben eine Forscherin und zwei Forscher ursprünglich unabhängig voneinander begonnen, sich mit U Dhammaloka und seinem Werk auseinanderzusetzen 2. Die Chancen stehen gut, dass U Dhammaloka/Laurence Carroll bald noch bekannter werden wird: der mehrfach preisgekrönte irische Dokumentarfilmer Ian Lawton bereitet soeben die Produktion eines Films mit dem Titel: The Dharma Bum vor. coque iphone Für diese unabhängige, frei finanzierte Arbeit wirbt und sammelt er auf der Website: https://dana.io/thedharmabum. Wie wär’s mit einem finanziellen Beitrag? In einem Interview mit dem US-amerikanischen säkularen Buddhisten Ted Meissner 3 sagt Lawton: Geschichte wird von den Mächtigen geschrieben. Das muss ja nicht immer und überall so bleiben.
- er hat später auch andere Namen gebraucht ↩
- Das sind: Alicia Turner, Laurence Cox und Brian Bocking: In dem Youtube-Video https://www.youtube.com/watch?v=3mUil5bVPsI erzählt Bocking über die Vernetzung und gemeinsame Forschung der drei WissenschafterInnen. Eine informative Einführung von Laurence Cox mit dem Titel: Laurence O’Rourke / U Dhammaloka: working class Irish freethinker, and the first European bhikkhu findet sich in: http://www.globalbuddhism.org/10/cox09.pdf (in englischer Sprache) ↩
- http://secularbuddhism.org/2015/05/31/episode-224-ian-lawton-the-dharma-bum-dhammaloka/ ↩
Danke, Evamaria, für diesen hochinteressanten Bericht!
Ich glaube aber nicht, daß man den Verdacht haben muß, dieser sympathische U Dhammaloka sei bewußt totgeschiegen worden. Er hat eben keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen. –
Toll, daß er die Bevölkerung in den kolonialisierten Ländern darin stärkte, ihre eigene Religion und Kultur zu bewahren!!