War Immanuel Kant ein Buddhist?

Nein, das war er natürlich nicht. Er ist im Jahr 1804 gestorben, bevor erste halbwegs gesicherte Nachrichten über Buddhas Lehre nach Europa kamen. Seine Philosophie hat er eigenständig aus der Geistesgeschichte seiner Zeit entwickelt 1.

Das Bild nebenan ist über 100 Jahre alt und stammt aus dem Tempel der Philosophen in Tokyo. Es belegt, wie sehr Kant auch außerhalb Europas seit langem geschätzt wird; es zeigt ihn gemeinsam mit Sokrates und Konfuzius neben Buddha als einen der vier Weltweisen.die vier Weltweisen

Ich bin ihm vor kurzem zufällig über den Weg gelaufen und war überrascht, wie nahe er in Teilen seines Denkens und seiner Lehre buddhistischem Gedankengut steht. Ich möchte das an ein paar Zitaten deutlich machen.

Selbstdenken heisst, den obersten Probierstein der Wahrheit in sich selbst, das heißt, der eigenen Vernunft zu suchen.

Kalama-Sutta in der Sprache des 18. Jahrhunderts, nicht? Und so äußert sich Kant über das „Selbst“:

Nun haben wir aber in der inneren Anschauung gar nichts Beharrendes, denn das Ich ist nur das Bewußtsein meines Denkens.

Und das kennen wir bis in die wörtliche Formulierung:

Es ist nichts beständig als die Unbeständigkeit.

Hier können wir an das Bild vom kundigen Handwerker denken, das Buddha oft gebraucht, wenn er davon spricht, wie wir uns selbst erziehen sollen:

Zur inneren Freiheit werden zwei Stücke erfordert: seiner selbst in einem gegebenen Falle Meister und über sich selbst Herr zu sein, d. seine Affekte zu zähmen und seine Leidenschaften zu beherrschen.

Was in buddhistischer Terminologie Verblendung heißt, nennt Kant Hochmut:

Der Hochmut […] ist eine Art von Ehrbegierde, nach welcher wir anderen Menschen ansinnen, sich selbst in Vergleichung mit uns gering zu schätzen, und ist also ein der Achtung, worauf jeder Mensch gesetzmäßigen Anspruch machen kann, widerstreitendes Laster.

Dazu passt dieser schöne Satz:

Kein Mensch ist so wichtig, wie er sich nimmt.

Über den Umgang mit anderen Menschen schreibt Kant:

Der Mensch kann nicht gut genug über den Menschen denken.

Und an zwei anderen Stellen:

Ohne Achtung gibt es keine wahre Liebe…Denn das Wohlwollen bleibt immer Pflicht, auch gegen den Menschenhasser, den man freilich nicht lieben, aber ihm doch Gutes erweisen kann.

Auch in der Methodik des Lehrens gibt es Gemeinsamkeiten, vor allem die Technik des mäeutischen Fragens, die Buddha wie auch Sokrates meisterlich angewendet haben. Kant schreibt:

Ich kann einen anderen niemals überzeugen als durch seine eigenen Gedanken.

Dass Kant nicht der knochentrockene Pedant war, als der er heute gewöhnlich dargestellt wird, klingt für mich in diesen Zitaten an:

Das fröhliche Herz allein ist fähig, Wohlgefallen am Guten zu empfinden. Wir dürfen nicht einander lästig werden. Die Welt ist groß genug für uns alle.

Zum Abschluss seine poetische Beschreibung der conditio humana:

Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.

__Seit langem faszinieren mich Querverbindungen und Weiterentwicklungen bei großen Denkern in Ost und West. Dabei geht es mir nicht darum, ob einer von einem anderem „abhängig“ war oder ist, aber Verwandtschaften, Parallelen, das Sickern von Gedanken auch über große zeitliche und räumliche Abstände hinweg – das ermutigt mich auf der Suche nach meinen eigenen Gedanken. Buddhas Worte, früh in der Menschheitsgeschichte gesprochen und tradiert, nehmen da eine Sonderstellung ein, weil sie bei aller Prägnanz so allgemeingültig sind, dass sie in allen Ländern, wo sie verbreitet wurden, mit der vorhandenen Kultur in Einklang kamen. In einem älteren Artikel2 hat Stephen Batchelor geschrieben:

Westliche Fürsprecher des Buddhismus, beginnend mit Schopenhauer, waren alle beeindruckt von der Vereinbarkeit seiner Lehren mit ihrer eigenen Weltsicht.

Um dieses Thema ein wenig näher zu beleuchten, folgt in einem nächsten Beitrag eine Übersetzung dieses Artikels.

  1. für eine erste Einführung in sein Werk dürfte sich dieses Taschenbuch eignen: Kant-Brevier. Hrsg. von Wilhelm Weischedel. Ein philosophisches Lesebuch für freie Minuten, 1974
  2. Der Artikel findet sich auf Stephens Website http://www.stephenbatchelor.org und trägt den Titel: Buddhism and PostModernity

Eine Antwort auf „War Immanuel Kant ein Buddhist?“

  1. Ich war überrascht von der Existenz dieses Bildes, und habe mich gefreut! –
    Jörg Lauster schreibt in seinem Buch „Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums“ (2014), daß Kant es für unmoralisch hielt, zu glauben, ein Mensch könnte für die Schuld anderer büßen.
    Aber er war wie der von ihm tief verehrte Rousseau davon überzeugt, daß die Religion für die Menschen und die Gesellschaft wichtig sei, denn Ideale wie Gott, Freiheit, und Unsterblichkeit seien von lebenspraktischer Notwendigkeit. Die Religion verschaffe der moralischen Lebensführung besondere innere Antriebskräfte.
    Die Erbsünde war für ihn ein Symbol für unseren menschlichen Egoismus. Jesus verkörperte für ihn das Ideal des vollkommen guten Menschen.
    Ich vermute, daß er den Buddhismus bevorzugt hätte, hätte er ihn kennenlernen können.
    Den Glauben an Buddha als dem vollkommen Erleuchteten hätte er sicher gutgeheißen, ebenso die Möglichkeit, durch eine ethisch orientierte Lebensführung sein Karma verbessern zu können, um alle Lebewesen erretten zu können.
    Ich denke also, er hätte den religiösen Buddhismus befürwortet, trotz seiner philosphischen Haltung, da er überzeugt war, daß die meisten Menschen einen solchen Glauben brauchen, um sich auf dem Weg der Weisheit und des Mitgefühls zu begeben.

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