Wir und das Geld

Wenn man die Website von Karl-Heinz Brodbeck auch nur überfliegt, schwirrt einem der Kopf. Er ist ausgebildeter Elektroingenieur, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre, Kreativitätsforscher und Philosoph, hat zahlreiche Bücher verfasst oder herausgegeben, noch mehr Artikel geschrieben und ist Mitglied diverser Stiftungen und wissenschaftlicher Vereinigungen. Brodbeck praktiziert in der Schule des tibetischen Dzogchen und versteht sich als engagierter Buddhist. In der frühen Blütezeit des Buddhismus seien dessen Lehrer gleichzeitig auf dem höchsten Stand des Wissens in anderen Disziplinen gewesen und hätten dieses weitergegeben; an diese Tradition schließe er mit seiner Verknüpfung des Dharma mit Nationalökonomie an. So leitete er einen Vortrag zum Thema: Wirtschaften mit ethischen Maßstäben?! im April 2013 ein 1. Brodbeck beginnt mit einem Beispiel aus dem Werk Nagarjunas, des großen indischen Philosophen aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., durch das er Buddhas Lehre von der Abhängigkeit aller Wesen, gleichzeitig auch aller Phänomene – seien sie materiell, sinnlich oder geistig – demonstriert: Mutter und Kind könnten nicht unabhängig voneinander gedacht werden; erst das Kind mache die Mutter zur Mutter und umgekehrt. Beide hätten keine unabhängige Selbst-Natur, keine eigenständige Substanz. Die Bestimmung nur in gegenseitiger Abhängigkeit zu finden, sei mit dem Grundprinzip der „Leere“ gemeint. Weiters bekennt er sich zu Buddhas Satz „Den Dingen geht der Geist voran“, mit dem gesagt sei, dass die Welt vom Bewusstsein gelenkt werde, dass hier auch die Kraft liege, die Welt zum Guten oder zum Schlechten zu gestalten.Da es keine unveränderbare Menschennatur gebe, könne nahezu jeder „Charakterzug“ durch Motivation und daraus folgende Bewusstseinsprozesse und Handlungen beeinflusst und verändert werden. Philosophen hätten immer wieder versucht, diesen Satz auf den Kopf zu stellen wie Karl Marx mit seinem Diktum vom Sein, das das Bewusstsein bestimme. Menschen seien unter den unausweichlichen Bedingungen ständigen Wandels auf der Suche nach Sicherheiten; das führe dazu, dass wir immer wieder unsere Erfahrungen in Begriffe übersetzten. So würden wir über Gebühr das Wort „ich“ gebrauchen, und in Verbindung damit gleich den Begriff „mein“, als könnte die Abgrenzung von anderen Menschen und das Abstecken eines individuellen Territoriums Verunsicherung reduzieren. Das sei mit dem Gift der Unwissenheit oder auch Verblendung gemeint. Zum Thema „Geld“ stellt er fest, dass trotz dessen dauernder Präsenz seit Jahrhunderten sein Wesen kaum erfasst worden sei. Brodbeck sagt: Geld ist kein Ding, es ist eine fiktive Größe. Wert wird ihm nur zugesprochen, weil alle sich so verhalten, als hätte es Wert, weil wir darauf vertrauen, dass das so sei. Daraus resultiere kollektive Verblendung; wir alle reproduzierten laufend die Macht des Geldes, und obwohl das Geld uns alle verbinde, glaubten wir paradoxerweise, unser eigenes Geld hätte einen speziellen Charakter. Und so versuchten Menschen durch bloße Vermehrung der eigene Geldmenge auf Kosten anderer Sicherheit zu gewinnen: hier kämen die beiden anderen Gifte Gier und Hass ins Spiel. Dass Geldwerte fiktiv seien, dass das Streben nach mehr Geld einer globalen Illusion folge und diese gleichzeitig erzeuge, ließe sich in der Gegenwart an Hand der Blasen an den Börsen und Finanzmärkten unmittelbar nachvollziehen. Ökonomisches Kalkül hätte mehr und mehr die Übermacht über andere Denkformen gewonnen und die im Geld liegende Illusion zu einer Gewohnheit gemacht. Dies führe nach buddhistischer Analyse auf vielfältige Weise zu Leiden, wie sich an den Finanzkrisen des Kapitalismus zeige, die in den letzten Jahren neue, immer gefährlichere Ausmaße angenommen hätten. Krisenbekämpfung kann nach Brodbecks Einschätzung nicht einfach durch äußere Begrenzung von Geldgier gelingen. Der irrationalen Gewohnheit des Strebens nach mehr Geld sollten wir das Aufdecken seiner Schein-Natur entgegensetzen. Wir müssten verstärkt Bewusstsein dafür schaffen, dass in einer Welt gegenseitiger Abhängigkeit aller Wesen und Dinge die einzigen gerechtfertigten und gleichzeitig sinnvollen Handlungsmotive Gewaltlosigkeit, Toleranz, Mitgefühl, Fairness und Vertrauen seien. Der Glaube an fiktive Geldwerte, Gier und Aggression im wirtschaftlichen Wettbewerb verhinderten systematisch die Erkenntnis, dass Glück eine erlernbare Bewusstseinsform von Schlichtheit und Freundlichkeit sei.

  1. Der Anlaß dafür war ein Symposium der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft in Wien. Die Hauptgedanken von Brodbecks Rede können auf seiner Website: http://www.khbrodbeck.homepage.t-online.de/ unter dem Titel Grundlagen der buddhistischen Wirtschaftsethik nachgelesen werden

2 Antworten auf „Wir und das Geld“

  1. Ich kenne von Brodbek nur was Evamaria hier geschrieben hat. Ich möchte dazu eine Anmerkung zu dem übers Geld Gesagte vorbringen. Dass es leer sei und eine Fiktion, sehe ich auch so, dass ihm zu Unrecht Wert zugesprochen wird, ist aber, glaube ich schräg. Denn genau der Wert ist das Leere und Fiktive.

    Ich meine das so: Nicht Geld ist das grundlegende Phänomen, sondern der Tausch zwischen sogenanntem Gleichwertigen, Äquivalenten. Geld setzt voraus, dass in einer Gesellschaft die Menschen zu dem, was sie brauchen, durch Tausch kommen, indem sie also Gleichwertiges geben und bekommen, indem sie kaufen und verkaufen, verkaufen, um kaufen zu können usw.

    Das kann man direkt, indem man Gegenstände nach ihrem „Wert“ tauscht oder indem man sie nach ihrem „Wert“ verrechnet (Rechengeld ist wahrscheinlich älter als Münzgeld – wenn David Graeber, Schulden recht hat). Das Entscheidende beim Tausch ist die Fiktion, dass mein Tauschgegenstand und der meines „Tauschgegners“ (Max Weber, Markt) irgendwie gleichgesetzt werden können, dass also meine zwei Gläser irgendwie gleich deinem alten Fahrrad sind oder eine Stunde Arbeit von dir gleich zwei Kilo Äpfel aus meinem Garten. Da es sich um mathematische Proportionen handelt, lässt sich das natürlich durch Recheneinheiten oder Münz- oder Banknoteneinheiten ziemlich vereinfachen, die Fiktion aber bleibt das Gleich- bzw. in Proportion-Setzen, der unsichtbare Wert, der da völlig verschiedenen Dingen oder Vorgängen im Tausch (Kauf und Verkauf) zugeschrieben wird, von dem aber kein Atom in ihnen vorhanden ist, der ihnen bloß irgendwie anzuhaften scheint, weil es Tausch gibt.

    Natürlich fällt das keinem von uns mehr im Alltag auf, so gewöhnt sind wir dran. Ziemlich deutliche Spuren der Verwunderung und des Abscheus vor dieser Art sein Leben gestalten zu müssen, finden sich noch in der antiken Literatur, in der hebräischen Bibel und vor allem in den Evangelien, auch wenn die Texte oft schon recht entschärft sind. Aber auch in Webers Analyse und in seiner Wortschöpfung „Tauschgegner“ kommt das zum Ausdruck. Schließlich sind wir beim Tauschen, Kaufen und Verkaufen, in einen Interessensgegensatz gestellt, der eine will teuer abgeben und die andere billig bekommen, auch ist dieses Verhältnis unpersönlich, ich will deine, du meine Sache, mit Persönlichem muss eins da vorsichtig sein, sonst wird man leicht über den Tisch gezogen. Tausch ist grundsätzlich ein Umgang unter Fremden, ist konkurrenzistisch.

    Es handelt sich beim seit dem Kapitalismus allgemein durchgesetzten Tausch- und Geldsystem im Grund um die Privatisierung des Zusammenhangs menschlicher Gesellschaft. Es gilt nicht: Wir tragen bei nach Lust und Können und teilen nach unseren Vorlieben und Bedürfnissen. Solche Wert-losigkeit existiert heute außer in Träumen nur ab und zu im engsten Familien- und Freundeskreis und auch dort meistens nur, wenn grad genug Geld da ist. Sonst herrscht die Verteilung des gemeinsamen Produkts nach Tauschmitteln der Einzelnen. Wer nichts zu tauschen hat, d.h. nicht bezahlen kann, verfällt der staatlichen Fürsorge oder muss betteln oder muss verhungern. „Zu Geld kommen“ ist das Um und Auf, die grundlegende Fähigkeit, um in einer solchen Gesellschaft zu existieren. Alle anderen Beziehungen unter den Menschen können nur bestehen, wenn dieses Grunderfordernis geschafft wird, und sie dürfen dem auch nicht in die Quere kommen. Das ist es m.E., was uns verwüstet.

    1. Was das Verständnis von Geld betrifft, scheint sich mir das von Brodbeck nicht sehr von Deinem zu unterscheiden, Lorenz. Für Brodbeck ist, meinem Verständnis nach, mit dem wachsenden Umfang von Arbeitsteilung, Bevölkerung und menschlichen Bedürfnissen der Geldverkehr als Vermittlung der Tauschprozesse unvermeidbar geworden. Das ist auch durchaus sinnvoll und an sich noch kein Problem. Wo die Problematik anfängt ist, und wo der Prozess der Täuschung/Illusion einsetzt ist, dass eine Funktion – hier die soziale Funktion des Tauschvermittlers – als etwas erscheint, was ein eigenständiges, unabhängiges Wesen vorgaukelt.

      Das zieht (zumindest) zwei Problemkreise nach sich: Einerseits wird Geld zum Wert an sich, den es z.B. an und für sich zu vermehren gilt, und andererseits drückt Geld den Wert von Gütern aus, in der Denkweise des Alltags oft mit der ausgesprochenen oder unausgesprochenen Annahme, dass Güter einen inneren Wert besäßen, der dann nur als Preis in Erscheinung tritt. Beides ist aber nach Brodbeck, und nach buddhistischem Verständnis im Allgemeinen eine Illusion. Eine Illusion in dem Sinne, dass ein Prozess – in diesem Fall die Wert- beziehungsweise Preis-Zuschreibung – nicht mehr als Prozess gesehen wird, sondern verdinglicht wird.

      Brodbeck geht dann auch noch weiter, indem er darauf hinweist, dass es sich bei den „Märkten“, auf denen Güter getauscht bzw. Preise und Werte zugeschrieben werden, ebenfalls um Prozesse handelt, nicht um Instanzen an sich. Das ist ja vielleicht noch offensichtlicher, dass es sich bei Märkten um Prozesse handelt als beim Geld, aber gerade in ethischen Fragen vergessen wir das gerne und schieben den „Märkten“ Verantwortung über moralische Fragen zu: Entweder wir vertrauen darauf, dass in (neo-)liberaler Denkweise die „unsichtbare Hand“ des Marktes aus den egoistischen Einzelinteressen schon in Summe das Optimum für alle Marktteilnehmer ergeben wird. Oder wir verlangen in linker Denkweise nach einer Bändigung der Marktkräfte und der Einzelinteressen „von außen“, d.h. durch den Staat.

      In der Geschichte haben für Brodbeck beide Ansätze versagt, die „unsichtbare Hand“ genauso wie die Planung, weil sie die ethischen wie kognitiven Möglichkeiten der Menschen verdecken oder negieren. Die Quelle der Ethik ist für Brodbeck, und das entspricht ganz der buddhistischen Denkweise, immer schon da, in jedem Menschen, sie ist nur verdeckt durch den illusorischen wirtschaftlichen Prozess selbst, der sich auf die Täuschung der klassischen buddhistischen „Gifte“ Verblendung, Gier und Aversion stützt, die in der Wirtschaft als Schein des Geldes und der Märkte, Geldgier und Wettbewerb auftritt. „Fällt die Hülle,“ schreibt Brodbeck, „die das Antlitz des Menschen in eine vom Diktat der Effizienz und der Sachzwänge verzerrte Maske verwandelt, dann zeigt sich hinter dieser entfremdeten Person das gelöste Lächeln eines wissenden Buddha.“

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